Etappe Malko Tarnovo – Pinarhisar (Teil 2)

Ein letztes Mal möchte ich doch noch einmal die Bulgaren aufgreifen. Denn jetzt, nach über 3 Wochen muss ich zugeben, doch einige Dinge von ihnen gelernt zu haben. Die Bulgaren sind keine unfreundlichen Menschen, nur ähnlich wie hier in Deutschland, sind sie verhaltener und bei weitem nicht so offen, wie ich es aus den vorherigen Ländern gewohnt war. Wenn man verstehen will, woran das liegt, muss man nur einmal sich selbst betrachten. Wer hat nicht schon einmal jemanden, der nach dem Weg fragte, stehen lassen, weil er ihn selbst nicht wusste? Oder der schlimmere Fall, wenn derjenige sogar in einer fremden, unbekannten Sprache gefragt hat? Oftmals ist es die Unsicherheit oder der Verdacht einen Fehler zu machen, die uns befangen machen. Dabei kosten Unsicherheit und Zögern viel mehr Kraft als ein simpler Versuch etwas zu wagen. Klar können wir scheitern, aber was bedeutet das schon? Ein Neuversuch oder eben die Einsicht, dass das Versuchte halt nichts für uns ist. In jedem Fall bringt es Gewissheit, die man durch die Angst zu scheitern niemals erhalten wird. Vielen meiner engen Freunde wird diese Einsicht jetzt ein Lächeln ins Gesicht zaubern, denn irgendwie ich bin der Inbegriff dieser Feigheit.

Ein zweiter Lernerfolg hat ein bisschen auf sich warten lassen, denn meinen Fehler bemerkte ich erst vor Kurzem. Eine Woche Urlaub in Sofia war toll. Keine Frage. Aber ich musste meine Tour praktisch neu starten. Der offene Geist, der mich durch Serbien getragen hatte, war plötzlich verschwunden und an seine Stelle waren die neuen Anstrengungen getreten, die ich eigentlich bereits in der Slowakei hinter mir gelassen hattee. Die Hitze, die vollen Straßen, die nicht so hübsche Landschaft – all das schlug aufs Gemüt und hat mich wahrscheinlich dazu veranlasst, mein Dauergrinsen gegen ein ernstes und verbissenen Gesicht zu tauschen. Alle anderen als Stinkstiefel zu bezeichnen, ist einfach, und wer will schon mit einem Stinkstiefel reden. Ich gehe davon aus, dass es den Bulgaren mit mir ähnlich ging. Denn mit zunehmender Strecke wurde meine Laune wieder besser und gleichzeitig empfand ich die Menschen auch wieder als freundlicher. Vielleicht sollte man sich mal überlegen, wie man so den ganzen Tag aussieht.

Was bedeutet das für mich? Wer jetzt denkt, dass ich in Zukunft ein weltoffener, immer gut gelaunter Mensch sein werde, irrt. Auch wenn ich zukünftig einige meiner Probleme offensiver angehen und meine Wünsche direkter formulieren möchte, bedeutet das nicht, dass ich ständig und immer sage, was ich möchte. Die Feigheit wird weiterhin ein Bestandteil meines Daseins sein. Aber das ist okay, macht sie mich doch zu dem, der ich bin und alle schlechten Eigenschaften abzulegen wäre irgendwie auch langweilig. Aber wenigstens weiß ich jetzt, warum diese oder jene Dinge zum scheitern verurteilt sind oder auch waren. Weil ich Angst vor einem Fehlschlag hatte und sie deshalb nicht einmal probierte. Eine sehr dumme Einstellung und das es auch anders geht, beweist der Besuch in meinem nächsten Land.

Die Türkei habe ich mir wieder einmal ganz anders vorgestellt als das, was mich hier erwarten sollte. Das Ziel stand fest: Wenn ich schon einmal so dicht dran bin, dann wenigstens einmal nach Istanbul.

Gleich hinter der Grenze fand ich ein großes Schild, auf dem das gemeinsame bulgarisch/türkische Radfahrprogramm propagandiert wurde. Es gibt ein gemeinsames Radfahrprogramm? Oder besser: Es gibt ein bulgarisches Radfahrprogramm? Ein Programm, das Radfahrern einen sicheren Weg durch Bulgarien bieten soll? Echt jetzt? Okay, lassen wir das Thema und wenden uns dem aktuellen Projekt Türkei zu. Hier wurde nämlich eine Strecke ausgewiesen, die vom Grenzübergang bis an die türkische Schwarzmeerküste und dann auch noch in einen Ort mit einem Campingplatz führen sollte.

Karte-Radfahrweg

Eine ziemliche lange Strecke – zugegeben, aber durchaus schaffbar. Die Kombination Meer und Campingplatz war für mich so verlockend wie eine Karotte für einen Esel. Nur wenige Kilometer ins Landesinnere, dann links abbiegen und den Markierungen folgen. Guter Plan, schlechte Umsetzung. Diesmal war ich zwar so schlau und hab ein Foto von der Karte gemacht, aber nach 10 Kilometern festgestellt, dass die Auflösung zu schlecht war, um Ortsnamen zu erkennen. Ein wichtiger Aspekt, wenn man keine Ahnung hat, wie und ob diese Wege überhaupt markiert sind. So führte mich mein Plan ins Niemandsland zwischen Bulgarien und Türkei.

Orte waren hier Fehlanzeige und auch die Straße wurde zusehends schlechter. Einheimische liefen mir nur sehr selten über den Weg, und wenn, betrachteten sie mich eher argwöhnisch denn neugierig. Meine Karte war zu grob und dusselig wie ich war, hab ich die OpenStreetMap Karte der Türkei im Vorfeld auch nicht geladen. Was blieb mir also anderes übrig als weiter der Straße zu folgen? Nix. Zumindest hatte die den Vorteil, dass sie nach Osten und somit in die Richtung des schwarzen Meeres führte. Aus Asphalt wurde schlechter Asphalt, wurde Schotter, wurde schlechter Schotter, wurden Sand und Kies. Zwischendurch kamen wieder Asphaltabschnitte, die wie ein Versuchsfeld für Artilleriebeschuss in Miniaturausgabe aussah. Angenehmes Radeln sieht anders aus.

schlechte-Straße-Niemalsland
schlechtere-Straße-Niemalsland

Als ich nach Stunden die ersten kleineren Orte durchfuhr, veränderten sich die Menschen und ihre Neugier stand ihnen offen ins Gesicht geschrieben. Zeit für einen Plausch war nicht, galt es doch erst einmal das wichtigste Problem eines neuen Landes zu lösen: Geld. Aber ähnlich wie bereits in Serbien und Bulgarien saht ich mich nach 4 Stunden Fahrt mit der Frage konfrontiert: Woher bekommen die Menschen hier ihre Kohle? Ein Geldautomat war nämlich auch in der ersten Kleinstadt nicht zu finden.

Meine Wasservorräte waren inzwischen ungenießbar warm und seit dem geklauten Grenzerfrühstück waren viele anstrengende Fahrstunden vergangen. Es half nichts, ich musste fragen. Also hielt ich bei einem kleinen Grüppchen im Schatten sitzender Türken an und fragte zuerst auf Englisch nach einem Geldautomaten. Schulterzucken. ATM, Bankomat, Visa und fingerreiben – Schulterzucken. Erst als ich meine Geldkarte aus dem Portemonnaies zog und einen Abhebevorgang simulierte, lichteten sich die fragenden Gesichter und ich bekam eine Antwort in Form eines… Schulterzuckens. So viel ist klar, hier gibt es keinen! Aber wo ich schon mal da wäre: Chai? Nee! Warmes Wasser hatte ich selber genug, ich wollte was kaltes zu trinken und was zu futtern. Der Türke blickte auf meine Karte und zeigte mir eine Auswahl an Städten wo ich einen Geldautomaten finden konnte: 30 Kilometer gen Nordost, bergauf: Nee. 45 Kilometer gen Südost: Nein! Viel zu spät!!! 20 Kilometer zurück nach Südwest: Ja, das mache ich, auch wenn es mich erst einmal wieder weiter von Istanbul entfernen sollte. Der ältere Herr war glücklich mir geholfen zu haben und belohnte mich mit der Frage nach Chai. Ich war glücklich, dass mir geholfen wurde und verzichtete dankend erneut auf Chai. Zurück aufs Rad und ab go West! Geldautomat, ich komme und: cooler Türke! Hoffentlich gibt es mehr davon.

Diese Einsicht kam allerdings sehr schnell. Es gibt nicht ein paar mehr coole Türken. Nein, eigentlich hab ich noch ein sehr verhaltenes Exemplar erwischt. Darauf erst einmal einen Chai? Es wird wieder zu lang, daher bleibt euch eh nichts anders übrig als Abwarten und Tee trinken. 🙂