Etappe Malko Tărnovo-Pinarnisar (Teil 1)

Lieber Leser,

Stelle dir folgende Situation vor: Du erwachst morgens in deinem Hotelzimmer, trittst vor die Tür, um dir einen Kaffee, der erfolgsbestimmend für den Tag ist, zu besorgen und blickst in die Gesichter von 30 Polizisten… Die allgemeine Verwirrung hält nur kurz an, dann machen die Kerle weiter, wobei ich sie unterbrochen habe.
Die Frage lautet also: Was war eigentlich passiert?

In Bulgarien scheint sich ein Mangel an Polizeirevieren abzuzeichnen. Daher werden offensichtlich irgendwelche schutzlosen Wirtshäuser annektiert. So geschehen im Hotel letzte Nacht. Gut, ich hab den Campingplatz beschissen, aber ich behaupte mal, das macht mich nicht zum Top10 Kriminellen. Nee, die Grenzschutzpolizei hat wirklich keine Reviere oder Kasernen, die zum Wachwechsel taugen könnten. Deshalb treffen sich die Polizisten, die später den Grenzübergang besetzen, hier. Ab und an kommt ein Jeep, die Belegschaft wird ausgetauscht, immer in kleinen Gruppen, nie die gesamte Truppe, und der Jeep fährt wieder. Ich brauchte nur drei Kaffee, bis ich das System begriffen hatte.

Jetzt verstand ich auch den merkwürdigen Blick des Typen, der gestern mein Rad verstaut hatte, als ich es zusätzlich noch anschloss. Wer sollte hier was klauen??? Niemand kommt in den Hinterhof, der besser bewacht ist als die Grenze an sich, und klaut ein Rad. Das liebe Freunde, war spannend. Denn viele der Grenzer schauten durchaus sehr neugierig, aber will schon sein Hobby zum Beruf oder in diesem Fall umgedreht machen? Nee, Fragen heben wir uns schön für die Grenze auf und nicht in der Freizeit. So ignorierten sie mich kurz nach meinem Auftauchen völlig. Da sitzt irgendwas und beobachtet uns… kann man nix machen. Ist halt so. Allerdings gab es Breakfast for free. Einfach am Buffet der Polizei bedienen. Sagt kein Schwein was.

Bulgarien hatte mich so viel Motivation gekostet, da konnte ich auch dieses Brötchen, diesen Käse, die Wurst nehmen. Und diese Tomate – meine! Okay, ich gebe zu, hätte ich gewusst, dass das Essen der treuen Europawächter ist, ich hätte mich wohl nicht bedient. Ich bin auch ganz brav zur Kellnerin gegangen und wollte bezahlen, aber sie hat mich aufgeklärt. Nee, hier im Hotel muss ich Frühstück extra bestellen. Was ich gegessen habe, war von der Polizei. Peinlich? Nö, kein bisschen. Passiert andauernd.

Über eine schlechte Stärkung konnte ich mich jedenfalls nicht beschweren und so startete ich das zweite Mal in meinen letzten Bulgarientag. Allmählich kam ich mir schon vor wie die Stones, die alle Nase lang ihre Abschiedstournee machen. Ich war aber fest entschlossen, dass Ding heute durchzuziehen. Nur schlappe 10 Kilometer kündigte das Navi beim Festlegen der Route an. Also los. Huch, ein Berg. Egal, ich hatte schließlich gut gefrühstückt. Aber was war das? Auf dem Berg, ein weiterer Berg und noch einer. Insgesamt 450 Höhenmeter waren bis zur Grenze zurückzulegen. Irgendwann überholte mich ein Rennradfahrer, der nach wenigen Metern prompt eine Wendung einlegte und mich nach dem Ziel fragte. Wahnsinn, der erste Typ, der sich hier für meine Tour interessierte. Wir quatschten ein bisschen und es stellte sich raus, das der Herr aus Plovdiv stammte, dem Ort, den ich wegen seiner unmöglichen Radwege und den ziemlich miesepetrigen Leuten in Erinnerung hatte. Ja, hier in der Abgeschiedenheit der Berge tauen sie plötzlich auf. Als ob es darum ginge, auf keinen Fall zu Hause zuzugeben, dass man ein bisschen neugierig ist. Komisches Völkchen diese Bulgaren.

Wo-ist-die-Ente

Aber er munterte mich auf. Die Schieberei habe bald ein Ende, nur noch einen Kilometer bis zur Grenze und hinter der nächsten Kurve könne ich wieder fahren. Stimmte sogar. Und dann kam der nächste Schock. An der Grenze war ein sehr neugieriger Zöllner, der auch wieder ganz genau nachfragte. Aber nicht aus beruflichen Gründen, sondern weil er wirklich Spaß an Ente und mir hatte. Bald standen 10 Grenzer um mich herum, von denen ich das eine oder andere Gesicht heute morgen beim Kaffee schon gesehen hatte und es entbrannte ein lebhaftes Gespräch. Der Anfangszöllner übersetzte fleißig. Sollte es tatsächlich nur das Sprachproblem sein, dass die Bulgaren von einer Unterhaltung abhielt? Sind es tatsächlich ganz normale Südosteuropäer? Habe ich vielleicht auf Grund fehlender Bulgarischkenntnisse echt ein paar interessante Gespräche verpasst? Hätte man vielleicht die Zigeunerprobleme wirklich mal mit jemandem aus dem normalen Volk bequatschen können? Schade eigentlich. Vielleicht komme ich doch noch einmal wieder, dann aber bestimmt ohne Rad. Zum Abschied meinte der dicke und freundliche Zöllner: Sei beruhigt, ab jetzt geht es nur noch bergab. Fantastisch! Danke, das waren die besten Nachrichten überhaupt. Nur noch die türkische Grenze passieren und dann im Eiltempo nach unten. Es gab auch überhaupt kein Problem. Stempel in den Pass, Tschüss.

Grenzübergang-Türkei
Grenze-Ente-Türkei

Und dann ging es tatsächlich 4 Kilometer lang bergab. Aber scheinbar war der Dicke noch nie weiter als 4 Kilometer in der Türkei, denn danach ging es wieder bergauf. Nicht wie in Serbien! Du durchfährst das Gebirge nicht, sondern das Ding ist grenzüberschreitend. Also fing die Türkei genauso an, wie Bulgarien aufhörte… Aber doch ganz anders. Wie ich zu meinen ersten 4 oder 5 Litern Tee gekommen bin, erzähle ich euch aber erst das nächste Mal. Hier machen wir mal einen ganz vernünftigen Länderschnitt. Denn von der Türkei und den tollen Menschen kann man fast nicht genug erzählen.

Bergab-in-die-Türkei