Etappe Sinemorets – Malko Tarnow

Schwein gehabt!

Fast hätte mich der Campingplatz zum verweilen bewegt. Aber nur fast. Denn Schönheit allein, das wissen die Kenner unter uns, ist nicht alles. Und so sollte ich ein letztes Mal die unbarmherzige Natur Bulgariens zu spüren bekommen. Der Campingplatz in Sinemorets liegt nur 5 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Wenn man im Dorf Revozo steht, kann man auf das türkische Dorf Begendik schauen. Wunderschöne Strände hüben wie drüben, das Meer, das seicht gegen die Felsen schlägt, entspannte Menschen durch und durch.

Dennoch fehlte etwas zum Glück. Eine Sache, die so einfach wie genial ist, eine Kleinigkeit, die zu realisieren doch eigentlich ein Kinderspiel sein sollte: ein Grenzübergang. Aber nö, wenn du in die Türkei möchtest, so sagte mir ein Einheimischer, musst du nach Malko Tarnow fahren. Und damit nahm das Elend seinen erneuten Lauf.

Malko Tarnow ist von Revozo knapp 30 Kilometer Luftlinie entfernt, die einzige Verbindung dorthin ist allerdings nicht direkt, sondern erst muss man bis nach Tsarevo zurück, um sich dann noch ein letztes Mal 50 Kilometer durch die Berge zu quälen. Uncool Freunde, absolut uncool und somit möchte ich hier meine Bereitschaft zum EU-Beitritt der Türkei bekunden. Reißt die Grenzen nieder!

Solange das aber nicht passiert, blieb mir nichts anderes übrig als den schweren Weg zu nehmen. Dieser war entlang der Küste wie am Vortag, unterschied sich ab Tsarevo dann aber dramatisch von allem bekannten. Die Straße war auf einmal nämlich überhaupt nicht mehr voll und auch überhaupt nicht mehr gut. Im Gegenteil, sie wurde sogar richtig gemein. Es gab bei kuscheligen 36 Grad richtig fette Steigungen und wenn es mal ein bisschen bergab ging, hatte der Lochfrass mächtig am Asphalt genagt. Wolfgang Bürgi aus der Calgonwerbung hätte wohl gesagt, hier hilft nur noch austauschen.

Bulgarien-Straße
Bulgarien-Feuer-ausfegen

Und dann passierte es: Mitten in einem fiesen Anstieg, der für mich nur durch Schieben zu bewältigen war, griff mich das gemeinste Viech an, dass ich bis dato erlebt hatte und das gleich im Rudel. Lästige kleine Fliegen, die scheinbar auf irgendwas von oder an mir scharf waren, was ich nicht herausfinden konnte. Davon abgesehen, dass sie scheinbar eine große Vorliebe für Augen und Ohren hatten, taten sie nix, außer summend um mich herumzuschwirren. Hört sich nicht so schrecklich an, werdet ihr sagen. Aber jeder kennt das, wenn man schlafen möchte und exakt eine Mücke in dem sonst völlig ruhigen Raum ist. Das kann einen wahnsinnig machen, zumal die Viecher mich wirklich zu Hunderten umkreisten. Für alle, die jetzt natürlich genau zu wissen glauben, woran das lag – nein! Ich hatte morgens neben einem ausgiebigen Bad im Meer auch vernünftig geduscht. Also hatte es nicht am Gestand gelegen. Merkwürdigerweise verschwanden die Viecher auf sicheren Abstand, wenn mein Puls unter 130 sank. Dafür kamen aber dann die Bremsen. Fazit: War ich zu langsam, wurde ich gestochen, war ich zu schnell so gut das eben beim Bergauf schieben geht) haben mich die kleinen Dinger belagert. Es war unglaublich unangenehm. Nur wenn ich mal wirklich ein paar Meter fahren konnte, wurde ich sie zumindest ein paar Minuten los. Autan, Deo, Pfefferspray – nix half. Das Zeug ließ die Biester kalt. Sie wollten nur meine Monde sein und mich umkreisen. Wäre natürlich möglich, dass ich mein eigenes Magnetfeld erweitert hatte und die tatsächlich in meiner Umlaufbahn waren.

Aber ihr wisst, wo es ewig bergauf geht, da kommt auch wieder eine Abfahrt und die war diesmal sogar recht schön. Zwar war die Straße noch nicht wirklich gut, aber dafür war die Abfahrt auch nicht so steil. Ich musste also nicht die ganze Zeit bremsen, weil keine Gefahr bestand, nach der nächsten Kurve vom Rad zu stürzen. Alles gut, bis die von mir viel beschimpfte Natur ein zweites Mal zurückschlug. Diesmal in Form von (leider noch) lebenden Schnitzeln. Diese äußerst wild aussehenden Kreaturen grasten nämlich in aller Seelenruhe mitten in einer Kurve, die links aus Fels und rechts auch aus Fels, nur nach unten gewachsen, und einer Leitplanke mit, ja minimalem Grasbewuchs, bestand. Ich bin also voll in die Bremse gestiegen, habe das Rad auf der Stelle gedreht und mich wieder ein Stück entfernt. Nee, durch eine Rotte Wildschweine fahre ich jetzt nicht durch, hinter der Kurve, so viel hatte ich bereits gesehen, war es nämlich vorbei mit der schönen Abfahrt. Wie schlimm genau wusste ich nicht, aber in jedem Fall ging es danach wieder bergauf. Was jetzt? Bis nach Malko Tarnow waren es nur noch ca. 15 Kilometer und die Gegenrichtung zur nächsten menschlichen Siedlung ca. 30, inklusive der blöden Fliegen. Autos kamen hier nur sehr spärlich vorbei, es konnte ewig dauern, bis ich mich an eines dranhängen und so die Wildschweinherde durchdringen konnte. Auch von der Gegenrichtung war wenig Hilfe zu erwarten.

Bulgarien-Malko-Tarnow

Ich beschloss das erst einmal einzig sinnvolle zu machen und die Viecher zu fotografieren. Aus sicherer Entfernung versteht sich. Als ich wieder an die Stelle kam, wo ich vorher abrupt gewendet hatte, war von den Biestern aber nichts mehr zu sehen. Hä, spinne ich mehr als sonst? Vielleicht war mir die Hitze zu Kopf gestiegen oder diese Fliegen hatten mich wirklich schon in den Wahnsinn getrieben?

Nee, sie waren noch da und zwar in großer Zahl. Jetzt aber bereits hinter der Leitplanke im Gebüsch. Die Sau, die ich vorhin als erstes entdeckt hatte, war jetzt eigentlich in einem Bereich, wo sie mir nicht sonderlich gefährlich werden konnte. Nur die Ferkel veranstalteten einen höllischen Krach direkt in der Kurve und immer wenn eines das andere ein bisschen zwickte, wurde Mutter Schwein sehr unruhig.

Plötzlich hörte ich ein Donnergrollen den Berg herunterkommen. Das konnte nur ein Laster sein. Einer von der richtig großen und schweren, also langsamen Sorte. Optimal zum dranhängen. Ich verzichtete also aufs Foto und rannte zurück zum Rad. Und richtig, wenige Sekunden später kam zwar kein LKW, dafür aber ein alter Lada ohne Auspuff an mir vorbei, dem ich wunderbar durch die flüchtende Schweinebande folgen konnte. Danke Armut, ein 1er BMW hätte mir sicher keinen (akustisch, visuell und geruchstechnischen) Schutz geboten.

Der Rest war dann ein Klacks. Der letzte Aufstieg war relativ mühelos und dann ging es bei zunehmend besser werdender Straße schön bergab. In Malko Tarnow fand ich auch ziemlich schnell einen Geldautomaten und ein hübsches kleines Hotel, in dem ich erst einmal den gesammelten Angstschweiß und die Fliegenkadaver abduschen konnte. So weit, so gut. Ein würdiger Abschied von einem Land, das mich eine Woche lang zur Weißglut bringen wollte. Dachte ich zumindest, aber wie es immer so ist: meistens kommt es anders…

Dazu aber beim nächsten Mal mehr.