Etappe: Pazardžik-Burgas

Manchmal trifft man Menschen, die sind einem auf den ersten Blick unsympathisch. Wenn man eine Weile durch alle möglichen Länder tourt, trifft man dabei auch manchmal auf Länder, die sind einem relativ schnell auch unsympathisch. Bei Bulgarien kann ich den Grund nicht einmal konkret definieren. Wahrscheinlich ist es ein Zusammenspiel vieler verschiedener Gründe. Tatsachlich sollte sich beweisen, dass auch die Bulgaren kein schlimmeres Volk als alle anderen sind, und dass es durchaus sehr coole Leute gibt. Aber im Gegensatz zu Ungarn oder Serbien muss man eben ein bisschen länger suchen. Möglich wäre auch, dass ich in der Luxuswoche in Sofia einen Teil meiner Offenheit und Neugier eingebüßt hatte. Dass das landschaftliche Profil ein bisschen zu eintönig war. Oder dass ich mit einem so langen Aufenthalt in einem Land einfach überfordert war. Was es genau war, kann ich nicht sagen, jedoch hatte ich keine Lust mehr auf Bulgarien. Also bot ich zu Hause zwei unterschiedliche Alternativen an.

1. Ich verlasse Bulgarien auf dem schnellsten Weg oder
2. Ich wechsle für eine Etappe das Verkehrsmittel.

Jule war natürlich auf Grund von Authentizitätsproblemen gegen eine Zugfahrt. Und sie meinte, ich müsse den Bulgaren einfach noch eine Chance geben. Vielleicht würde ich sie ja doch noch mögen. Ich war allerdings starrsinnig und sagte, entweder Zug oder weg. Ich hatte einfach keine Lust mehr, weiterhin durch gleichbleibende Landschaft auf völlig überfüllten Straßen zu radeln. Versteht mich nicht falsch, aber nach dem achtzigsten Berg ist es keine wunderschöne Landschaft mehr, sondern nur noch ein Berg, der ganz viel Kraft kostet. Also setzte ich mich durch und sattelte für die folgende Etappe auf den Zug um. Dazu hieß es jedoch erst einmal nach Plovdiv zu kommen. Denn von dort standen die Chancen eine schnelle Verbindung ans schwarze Meer zu finden wesentlich besser.

Die Etappe von Pazardžik nach Plovdiv führte mich wieder über eine Hauptverkehrsstraße, die links und rechts von Sonnenblumenfeldern oder hohen Büschen gesäumt war. Aussicht war also wieder Fehlanzeige und selbst wenn, war ich eigentlich nur damit beschäftigt, nicht im rollenden Verkehr unter die Räder zu kommen. Nein, fahrradfreundlich sind die Straßen in Bulgarien wirklich nicht. All das bestärkte mich, auf dem Campingplatz in Plovdiv angekommen, meine Idee mit der bulgarischen Staatsbahn in die Tat umzusetzen. Und hier sollte ich nicht enttäuscht werden. Bereits am Vortag kaufte ich bei einer wahnsinnig freundlichen Schalterangestellten ein ebenso wahnsinnig günstiges Ticket. So günstig, dass ich bis zur Abfahrt an einen Fehler glaubte.

Sonnenblumenfeld

Ich muss zugeben, ich war ein bisschen aufgeregt. Allerdings auch sehr neugierig. Was kann man für einen solchen Fahrpreis erwarten? Klar, der Zug kommt niemals pünktlich. Aber okay, damit kann ich leben. Und er wird Hühner und Rinder transportieren. Mal was Neues. Und Tee, es werden Unmengen Tee serviert. Und das Ding ist alt und klapprig. Also irgendwie stellte ich mir die Zugfahrt wie einen ganz normalen russischen Inlandsflug vor.

Die Bahn in Bulgarien ist ein Erlebnis. Für die knapp 260 Kilometer lange Strecke von Plovdiv nach Burcas musste ich unglaubliche 16,60 Lev hinlegen (ca. 9 €). Also für mich UND mein Rad.

Mit der DB würden mich 260 Kilometer folgendes kosten: 100 € plus 30 € für das das Rad minus Bahncardrabatt plus Reservierungszuschlag macht 200 €. Immerhin ist die DB pünktlich. Manchmal.
Natürlich ist die bulgarische Bahn überhaupt nicht mit der Deutschen Bahn vergleichbar… ich Trottel. Mein Zug kam ungefähr 8 Minuten zu spät. Und dafür so viel Kohle… Auch fehlte der deutsche Kuschelfaktor völlig. Das Mistding war nämlich so ausgelegt, dass viele Passagiere mitkommen, wenn sie denn wollen. Da arbeitet die Deutsche Bahn schon erheblich effizienter! Lustiges Zugbegleitpersonal gibt es in Bulgarien leider auch nicht. Kein liebevoller Anranzer, weil man die Fahrkarte nicht schon vorher gestempelt oder gar gekauft hat. Kein lustiges Zusammenscheißen vor der gesamte Fahrgastcrew, weil man leider kein Wort der hiesigen Sprache versteht… und auch keine freundlichen Durchsagen, dass sich das Zugpersonal am nächsten Bahnhof von den Gästen verabschiedet, weil es jetzt raus muss – in voller Lautstärke. Nee, der Schaffner bleibt bis zum bitteren Ende und verlässt als letzter das sinkende Schiff— äh, den haltenden Zug. SPIESSER!!! Ha! Dafür gibts keinen Niederflur. Dafür kann man das Rad in den großzügigen Haltezeiten am Bahnhof bequem abpacken, einladen und verstauen. Der Schaffner hilft auch gern dabei.

Zugfahrt-Burgas-2

Ironie Ende. Alles in allem war die Bahnfahrt ein schönes Erlebnis und zeigte mir, wie es auch anders funktionieren kann. Zumal ich auch relativ schnell eine neue Freundin fand. Denn ein kleines Mädchen lies nicht locker und besorgte sich eigens für unsere Kommunikation einen menschlichen Übersetzer. So saß ich also mit einer 9-Jährigen, die tausend Fragen hatte und einem älteren Mann zusammen, der diese übersetzte. Klar, mag ich Dinosaurier und nee, Hunde im Moment nicht so.
Das war eine coole Begegnung und macht Hoffnungen auf kommende Generationen. 🙂

Allerdings gab es zwei Erlebnisse, die ich auch im Nachhinein nicht wirklich gutheißen kann. Während die Autobahnen fernab von Dörfern und Städten geführt werden, bestehen die Bahnstrecken teils schon viele Jahrzehnte. Folglich führen sie auch an Problem-Orten vorbei. Meine Mutter unterstützt ein Projekt in Rumanien, bei dem eine ziemlich mutige Deutsche versucht, Romakindern über Bildung eine vernünftige Zukunft zu ermöglichen. Das wäre hier auch nötig. Denn als wir an einem Dorf vorbei fuhren, standen auf einer Müllkippe ganze Familien, die im Müll nach verwertbaren Dinge suchten. Noch bedrückender wurde es, als ich sah, dass auch viele, teils sehr kleine Kinder an der Suche beteiligt waren. Dagegen schienen die Bulgaren im Zug das jedoch gar nicht zu registrieren.

Einen weiteren Zwischenfall konnte ich beim pausieren an einer Tanke beobachten. Dort bot ein junger Mann seine höchstens 14- oder 15-Jährige Begleitung als käuflich an: immer, wenn ein dickes Auto vorbei fuhr, schob er dem Mädchen das Shirt hoch. Angehalten hat niemand und ob es vielleicht nur eine provozierende Geste war, kann ich nicht beurteilen. Geschockt hat es mich aber trotzdem. Schaut hier echt ein ganzes Volk in der Ohnmacht, soweit nichts gegen die Armnut tun zu können, weg?

Ich weiß, dass es ähnliche Probleme auch in anderen Ländern und sogar bei uns gibt. Aber ich weiß nicht, ob da wirklich nichts getan werden kann. Was die Erwachsenen tun, kann man vielleicht wirklich nicht mehr beeinflussen, aber was die Kinder angeht, sollte man dringend eingreifen. Ich fürchte, ohne Menschen, die das Problem an der Wurzel anpacken, werden die Vorurteile gegenüber den „Zigeunern“ niemals abgebaut. Vielleicht habt ihr ja Interesse einmal die Seite von Jenny Rasche zu besuchen.

http://www.kinderhilfe-siebenbuergen.eu/