Kennt Ihr das, wenn euch eine Eigenschaft an euch peinlich ist, obwohl ihr gar nix dafür könnt? An den meisten meiner schlechten Eigenschaften bin ich tatsächlich selbst Schuld, aber für mein miserables Namensgedächnis kann ich nix. Natürlich hatte der Ranger des gestrigen Abends einen Namen. Denn ob man es glaubt oder nicht, auch die Serben scheinen ihre Kinder zur leichteren Unterscheidung zu benennen. Ich konnte ihn mir aber die 8 Tage bis Sofia leider nicht merken. Ebenso weiß ich, dass das junge Paar aus Novi Sad sehr schöne Namen hatte, aber auch die… wusch weg. Fabian und … Mensch, es tut mir wirklich leid. Wenn ihr das lest, bitte schreibt euch in die Kommentare. Um einem entfallenen Namen tut es mir ganz besonders leid, dazu komme ich aber später.
Zuerst möchte ich euch natürlich von der heutigen Tagesetappe berichten. Dazu sei vorweg angemerkt, dass campen in Serbien scheinbar als eine Art Abenteuer gilt und daher nicht immer ganz billig ist. Der Naturzeltplatz ging mit knapp 10 € im Gegensatz zu den restlichen Preisen hier ganz schön ins Budget. Er war wirklich toll, mit kleinem Flüsschen und super sauberen Sanitäranlagen. Also standorttechnisch nichts zu bemängeln und wenn man diese unglaublich große Portion Gastfreundschaft wirklich verrechnen will, kann man davon ausgehen, dass man hier viel mehr bekommt, als man geben muss. Ein herzliches Dankeschön und ein großes Lob an die beiden, auch wenn sie das wahrscheinlich nicht lesen werden.
Den nächsten Campingplatz sollte ich in Zemun, kurz vor den Toren Belgrads finden. Bis dahin war es allerdings noch ein gutes Stück Weg, der ab nun, wie befürchtet, auch wieder ein paar fette Berge bereithalten sollte. Da der Donauradweg wie beschrieben oftmals schwer zu erkennen ist, wurde ich meinem Versprechen, von nun an auf diesem zu bleiben, auch schnell wieder untreu. Aber die Fahrtrichtung war ja klar und so fand ich ihn trotz mehrerer Verluste eigentlich immer sehr schnell wieder.
Heute ging es zuerst über eine sehr stark befahrene Hauptstraße, die mir deshalb so gut in Erinnerung blieb, weil sie von vielen LKW und – ich sag nix dagegen – Bussen benutzt wurde, ziemlich steil bergauf ging und keine Sichtbeschränkung in Form von blöden hellgrauen Leitplanken bot. War ein Wahnsinnsblick in den Abgrund, wann immer ich auf Grund des tiefen Brummens – bei dem ich jedes Mal einen Killerkommando-Bus vermutete – an den Straßenrand hechtete. Die Tour war echt nicht ohne und so war ich ganz schön erleichtert, als der Donauradweg, zwar fernab der Donau, plötzlich von dieser Straße wegführte. Hier gab es endlich viel verkehrsärmere Straßen, die vor allem eines boten: noch mehr Berge. Die Tour Orfü – Csátalja flach, dann ein Ruhetag – flach und ganz Serbien bis hierher – flach. Jetzt schien Mutter Erde aber ein bisschen was nachholen zu wollen und versorgte mich mit schönen Hügeln. Serbien sollte noch richtige Gebirge für mich in Petto haben, aber davon wusste ich im Vorfeld natürlich nix. Schlampige Recherche bietet eben Raum für allerhand Überraschungen.
Auch die Sonne gab wie gewohnt ihr Bestes, und dass der Donauradweg jetzt scheinbar auf tote serbische Nationalhelden spezialisiert war und ständig Schilder mit entsprechenden Alternativrouten zu sehen waren, machte die Sache nicht unkomplizierter. Da beneide ich die Menschen, die ein zweites oder gar drittes Paar Augen mit auf der Tour haben, meine (die eh schon relativ mies arbeiten) schickten jede Information ungeprüft ans Hirn, was der visuellen Empfehlung natürlich Folge leistete. Aber gut, voran kam ich ja trotzdem, wenn auch etwas umständlicher als vom Ausschilderer geplant.
In einem hübschen serbischen Bergstädtchen überholte mich sogar eine aus sieben Mann bestehende deutsche Radreisegruppe, die mich aufforderten, mich einfach dranzuhängen. Zu viel roter Vino gestern, brüllte ich Ihnen noch nach und schon waren sie auch wieder verschwunden. Die Kerle waren mit leichtem Gepäck und wirklich deutlich schneller als ich unterwegs. Da hätte es nur 2 Möglichkeiten gegeben. 1. ihre Tour verlangsamen oder 2. meine Geschwindigkeit erhöhen. Das erste wollte ich nicht und das zweite schon gar nicht. Aber knapp einen Monat solo unterwegs, störte mich das auch gar nicht, bin ich doch bislang schließlich immer irgendwo angekommen. Als ich sicher war, dass sie weit genug voraus waren, machte ich dann auch das einzig richtige: eine Zigarettenpause. So wie die Typen drauf waren, gab es das bestimmt bei ihnen nicht. Der sportliche Radler raucht schließlich nicht.
Und wie ich da so in der knallenden Mittagssonne stehe, kommt auch gleich ein Einheimischer auf mich zu und mich, ob ich pausiere. Ja, grinste ich und es ist klar, dass der Typ nur einen Aufhänger für einen kleinen Schnack sucht, der wieder einmal in einer Einladung zum Essen gipfelt, die ich aber auf Grund meiner vorherigen Erfahrungen mit serbischer Gastfreundschaft überschwänglich dankend ablehne. Ich weiß, dass die Serben so etwas nicht gern hinnehmen und so zog er auch etwas beleidigt von dannen, aber wenn ich gefolgt wäre, wäre heute hier Schluss gewesen und das nur nach wenigen Stunden Fahrt.
Die sportliche Gruppe jedoch hatte scheinbar in der Zwischenzeit in einem Gasthof gestoppt und radelte just in dem Momentan mir vorbei, als ich noch ein bisschen peinlich berührt dem Einlader hinterher blickte. Der grüßte zwar wieder, aber mir wurde in diesem Moment klar, 7 Mann hätte er nicht zum Essen einladen können. Allein ist zwar manchmal Mist, aber trotz alledem kommt man so sehr viel schneller mit den Einheimischen ins Gespräch. Einerseits, weil man natürlich muss und andererseits, weil sie bei Einzelpersonen auch weniger Berührungsängste haben. Eine Tatsache, die gerade ich besonders gut nachvollziehen kann.
Ich hätte wohl auch noch eine Weile über diese Dinge philosophieren können, aber der Tag wurde nicht jünger und ein Stück war es noch bis Belgrad. So machte ich ich wieder auf den Weg und hatte wenig später ein besonders komisches Erlebnis. Denn ca. 10 Kilometer vor dem Ziel, als ich eine Trinkpause auf einer Brücke machte, sah ich einen Radfahrer älteren Semesters, der gerade den Beschleunigungsstreifen der Autobahn benutzte. Mein erster Gedanke war, und da hat der Typ auf dem Weg zum Balaton von mir gedacht, ich hätte ein Problem… der Kollege hier wollte doch wohl nicht wirklich die letzten Kilometer nach Belgrad über die Autobahn abkürzen? Doch wollte er und spannenderweise störte diese Aktion die unten vorbeifahrende Polizeistreife kein bisschen. Aha, hätte ich wohl auch die Autobahn von Novi Sad nach Belgrad nehmen können. In Serbien offensichtlich kein Problem.
Als ich die dann verbleibende Strecke des Donauradweges fuhr, musste ich gestehen, der Alte hatte sich doch ganz eindeutig für den sichereren Weg entschieden. Hier wurde es nämlich richtig eng. Unglaublich viele Autos und Busse aus dem ganzen Umland im Minutentakt. Erst direkt in Zenum wurde der Radweg dann endlich von der Hauptstraße weggeführt, aber scheinbar nur, um die Belastungsfähigkeit der Räder zu testen. Sprich, er wurde richtig übel. Und das ist immer so gemein, denn meistens wird die Straße entgegengesetzt zur Umgebung immer schlimmer. Auf landschaftlich langweiligen Passagen gibt es dafür meist die besten Abschnitte. Aber so ist es eben, alles Gute ist wohl nie beisammen und so kämpfte ich mich im Kriechtempo Richtung serbischer Hauptstadt.
Mein größtes Problem war, dass ich noch immer nicht wusste, wo sich dieser ominöse Zeltplatz befinden sollte. Also musste ich zuerst nach einem offenen WLAN Ausschau halten. Aber wie gesagt, auch in Serbien kaum ein Problem, und so konnte ich feststellen, dass ich vor gut 7 Kilometern an dem Campingplatz vorbei gerauscht war. Klar, den starken Verkehr im Rücken hatte ich mal wieder nicht aufgepasst. Also blieb mir nichts anderes übrig, ich musste zurück, denn einen anderen Zeltplatz gab es erst weit hinter Belgrad. Das wäre aber weder schaffbar, noch cool gewesen, wollte ich mir Belgrad am nächsten Tag doch in Ruhe anschauen. Diesmal habe ich aus dem Bauch heraus auch eine völlig richtige Entscheidung gefällt.
Durfte ich doch auf dem Campingplatz zwei junge Hamburgerinnen kennenlernen, die gerade so eine Art Balkantour mit dem Auto unternahmen. 2 Mädels, die unerschrocken durch eines der angeblich gefährlichsten Gebiete Europas fahren. Und alles was sie erzählen atmete pure Begeisterung. Wie verrückt ist das denn, bitte? Trotz meiner vielen Vorurteile im Vorfeld: ich treffe einfach niemanden, dem Nachts beim Schlafen die Organe entnommen wurden, oder der zumindest mal beim Einkaufen betrogen wurde. Die beiden Schwestern, so stellte sich heraus, hatten auch wieder nix zum Schimpfen für mich. Ja Herrschaftszeiten, ist das denn hier ein Urlaubsparadies? Ich fahre extra hierher, um mich wie ein Pionier und Entdecker zu fühlen und überall sind schon welche, die mir sogar noch richtig gute Tipps für meine Weiterfahrt geben können. Muss ich denn erst zu Mars radeln, um mal wirkliche Klischees erleben zu können?
Und damit kommen wir zu meinem Namensproblem. Wie gesagt, es waren zwei Schwestern und eine der beiden hatte für Belgrad vorübergehend ihren Freund dabei. Die beiden fuhren am frühen Abend noch in Stadt, um eine Freundin zu treffen. Die andere, und jetzt ist es voll gemein mit meinem Namensgedächtnis, blieb zurück und leistete mir an diesem Abend bei ein oder zwei Bieren Gesellschaft. Herrlich. Endlich mal wieder in vernünftigem Deutsch über alles Mögliche reden zu können. Dabei stellte sich heraus, dass die junge Dame Lehrerin in einer Hamburger Schule ist und von ihrer Schwester zu dieser Tour überredet wurde. Und nun… sie war Feuer und Flamme für diese Gegend! Sie hat in ihrer Klasse nämlich viele Schüler aus dieser Region und man konnte ihr die gewonnenen Erkenntnisse über diesen Schlag Menschen sprichwörtlich ansehen.
Es war ein unglaublich spannender Abend, der mir auch ohne viel Radlerei ganz neue Perspektiven über diese Region brachte. Dann ist es auch manchmal ein bisschen doof, wenn man am nächsten Tag weiter muss, denn so ein Erfahrungsaustausch ist wahnsinnig cool.
Hilft nix, die beiden waren auf dem Rückweg und ich hatte noch einen ganz schönen Weg vor mir. Zumal sich an diesem Abend meine Mutter für einen Besuch in Sofia angekündigt hatte. Aber da lagen noch viele Kilometer und der eine oder andere Berg dazwischen.
Ihr beiden Weltenbummlerinnen, wenn ihr das versehentlich lesen solltet, meldet euch doch mal. Ich wäre auf eure Eindrücke nach einer Ruhephase sehr gespannt. Denn so geht es mir gerade. Jetzt, wo ein bisschen Zeit verstrichen ist, wirkt das Erlebte viel Intensiver.
Alle die MIR folgen, kommen morgen mit nach Belgrad. Einer extrem kontrastreichen Stadt. Nirgendwo auf dieser Reise habe ich Licht und Schatten näher beisammen gesehen. Partytempel und Müllhalden, alles das kann man in Belgrad innerhalb weniger Minuten finden… wenn man sich zu gucken traut. 😉
Und morgen wird es auch wieder weniger zu lesen, dafür aber mehr zu gucken geben – Indianerehrenwort.