Als ich Micha verließ, gab der mir noch einige gut gemeinte Hinweise zu Serbien mit auf den Weg. Sein eindringlichster war, halt dich von Novi Sad fern. Radel durch, verbring aber nicht mehr Zeit als nötig dort. Die Menschen dort waren ihm nicht ganz lieb, das konnte ich merken. Aber es kamen auch Tipps wie, Pass gut auf dein Rad auf und Je weiter du nach Serbien hineinkommst, desto größer ist die Gefahr, dass du an einen Verbrecher gerätst. Meine Befürchtung, eventuell meine eigene Polizeikontrolle durchstehen zu müssen, wischte er jedoch symbolisch aus der Luft und meinte, was sollen die denn von dir wollen? Nein, da bräuchte ich mir keine Sorgen machen.
Also radelte ich viel zu spät an diesem Tag los, meinem eigentlich für gestern geplanten Etappenziel Novi Sad entgegen. Ein kurzer Blick in die App verriet mir, dass der dort gelegene Campingplatz deutlich hinter der Stadt liegen sollte und so konnte ich ganz nebenbei noch Michas Tipp wahrnehmen, mich dort nicht groß aufzuhalten.
Die Strecke war hier immer noch hauptsächlich von Äckern geprägt und die wenigen Dörfer entlang des Weges lagen oftmals 15, 20 Kilometer auseinander. Hatte ich am Anfang noch gedacht, meine Karte wäre sehr grob, zeigte sich schnell, dass wirklich fast jedes Dorf eingezeichnet war. Es gab einfach nicht mehr. Allerdings klappte die Lebensmittelversorgung entgegen allen Befürchtungen auch hier tadellos und die Straßen waren in einem besseren Gesamtzustand als die ungarischen. Der Verkehr hielt sich in Grenzen und überhaupt ist der Serbe im Allgemeinen scheinbar kein offensiver Fahrer. Einzige Ausnahme bilden da leider Busfahrer. Sie scheinen einen Heidenspaß daran zu haben, ihren Koloss möglichst dicht an Radlern vorbeizusteuern. Ich schwor mir mehrmals, sollte ich mal einen von denen ungedeckt von seinem Lenkrad erwischen, bekommt der aber so was von einer Bunkerschelle, dass er sich nie wieder auch nur überhaupt einem Rad nähert! Natürlich wäre ich dafür viel zu feige, aber man wird ihnen ja seinen Frust auch einmal hinterher brüllen dürfen.
Selbst die nächste Polizeistreife nach einer Stunde Fahrt blickte zwar sehr neugierig, aber keinesfalls interessiert an eventuellen Verstößen. Und so radelte ich gelassen meiner ersten richtigen serbischen Stadt entgegen. Mit Michas Vorwarnungen im Hinterkopf entdeckte ich in Novi Sad auch gleich vermeintliche Gefahrenherde. Der Verkehr war dichter, die Leute gehetzter, die Informationsflut in Form von Schildern und Leuchtanzeigen gewaltig. Eben eine ganz normale Stadt. Aber keine offensichtlichen Mörder, Diebe oder Drogenhändler. Nein, eigentlich war hier alles sogar recht ordentlich und die Fassaden der Häuser waren auch in gutem Zustand. Hier gab es kaum einen Unterschied zu Pecs in Ungarn oder Lutherstadt Wittenberg bei uns. Nichts mehr mit Kulturschock und schreiender Armut. Meinte Micha vielleicht doch eine andere Stadt? Nö, Serbien hat tatsächlich nur dieses eine Novi Sad. Also folgte ich den Wegweisern zum City Beach und neben einigen recht coolen Locations für Sport, Futter und Besäufnisse fand ich auch sogleich den Donauradweg und ein freies städtisches WLAN. Wahnsinn, Internet haben die hier auch schon…
Jetzt viel entspannter ließ ich meinen Blick über die zum Ende des Kosovokrieges arg in Mitleidenschaft gezogene Stadt schweifen. Aber die Serben waren schnell. Bis auf ein paar verwaiste Brückenpfeiler in der Donau war die Stadt in einen sehr schönen Zustand. Auf die Parkbank neben meiner setze sich eine ältere Dame und fing auch gleich ein sehr lockeres Gespräch an. Hmm, von Gefahr war hier wirklich nichts zu spüren. Okay, offensichtlich gibt es hier die gleichen Vorurteile wie auch bei uns gegen andere Regionen. Novi Sad ist jedenfalls nicht Gomorrha. Aber dafür war ich jetzt wieder auf dem Donauradweg und diesem, so beschloss ich jetzt, werde ich von nun an auch ganz brav folgen. Dieses Vorhaben stellt sich in Serbien allerdings als nicht ganz so leicht wie in Ungarn heraus. Es gibt zwar viele Schilder, die sind aber oftmals so unmöglich angebracht, dass man sie sehr schlecht sieht. Als Solofahrer ist man also zum langsam fahren verdammt und das ist auf Grund fehlender Radweg oftmals nicht ganz gefahrlos. Besonders Busfahrern bietet man nun ein besonders schönes Ziel…
Die Donau macht kurz hinter Novi Sad einen Knick und kommt wenige Kilometer dahinter wieder zurück. Dieser Knick ist aber auf Grund fehlender asphalttechnischer Infrastruktur von Donauradweg ausgeschlossen und so muss man eine Brückenüberquerung und anschließend einen anständigen Anstieg in Kauf nehmen, bekommt dafür aber zur Belohnung einen wunderschönen Blick auf die unberührte Natur des Knies. Bei der Überquerung der Brücke traf ich ein junges Paar, die sich witziger Weise nach anfänglich komplizierten Kontakversuchen auf Englisch als Deutsche herausstellten. Auch wenn mir hier jeder Kellner meine Nationalität scheinbar an der Nasenspitze ansieht, zumindest bei meinen eigenen Landsleuten scheine ich nicht auf Anhieb als einer der ihren begriffen zu werden. Gut so!
Aber trotzdem staunte ich nicht schlecht, denn was treibt ein junges Paar ausgerechnet nach Serbien und dann noch nach Novi Sad? Eine schöne Stadt, ohne Frage, aber was mit den coolen Städten wie Paris, London, Rom oder Barcelona passiert? Ich dachte, ich wäre mit meiner Neugier auf Serbien so ziemlich allein auf der Welt. Nö, sagten sie. Sie wohnen in Belgrad in einem Hostel und unternehmen von dort eine Tour zu allen möglichen Enden des Landes. Heute ist eben Novi Sad dran, und am Donnerstag das Trompetenfestival in Guca, mitten in den serbischen Bergen. Und nochmal nein, so exotisch ist Serbien gar nicht, sondern primär recht günstig und sogar ziemlich schön. Gut, da fehlten mir dann aber tatsächlich auch die Gegenargumente… Zwar war es landschaftlich bis Novi Sad nicht sehr anspruchsvoll, aber bereits von der Donaubrücke aus konnte ich sehen, dass in den nächsten Tagen so einiges auf meine Waden zukommen würde.
Nach einem tollen Gespräch machte ich mich wieder auf den Weg, um den von meinem Campingplatzführer angepriesenen Naturcampingplatz zu finden.
Dass dieser wieder ein paar sehr unverhoffte Erfahrungen mit sich brachte, werde ich euch beim nächsten Mal erzählen. Ihr werdet unglaublich coole Menschen kennenlernen.