Serbien – Kulturschock Feketić Teil 2

Bei den letzten beiden Teilen, genau wie bei diesem handelt, es sich um lediglich eine Etappe vom ungarischen Csátalja im das serbische Dorf Feketić. Also tatsächlich nur um einen einzigen Fahrtag. Dass ich das alles so ausführlich beschreibe, ist der Tatsache geschuldet, dass ich hier das erste Mal eine völlig ungewohnte Kultur erleben durfte. Was mich so bewegt hat, war dabei natürlich die Armut und die trotzdem wundervolle Lebensfreude der Menschen in Feketić, als auch meine eigene Naivität, diese Situation überhaupt zuzulassen.

Hätte mir jemand vor ein paar Monaten erzählt, dass ich mich zu solch einer Aktion bereiterklären würde, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Die Serben? Kriegserfahren, krisengeplagt, schrecken doch bestimmt vor nix zurück. Osteuropäische Härte und wenig Achtung für den Besitz anderer. Nein, Serben sind bestimmt gastfreundlich, aber im Ernstfall verprügeln sie dich, wenn sie bei dir eine lohnende Beute erwarten oder ihnen deine Nase einfach nicht passt. Das waren die Vorurteile, mit denen ich auf Serbien reagiert hätte. Und ja, die Erfahrung lehrt mich, es gibt auch in Serbien Schlitzohren und vielleicht auch Gewalttäter (davon habe ich aber keinen kennengelernt), aber die gibt es hier genauso wie dort. In jedem Land wird man Menschen finden, die einzig zu ihrem Vorteil handeln. Aber in Serbien findet man viel mehr Menschen, die absolut uneigennützig in ihrem Handeln sind, als in Deutschland. In Deutschland wurde ich noch nie bei einer Zigarettenpause angesprochen und spontan zum Essen eingeladen. Vielleicht liegt das aber auch einfach daran, dass, wenn man kaum etwas zum bewahren hat, man viel offener mit Fremden umgeht.

Ich für meinen Teil konnte mich in meiner ersten Nacht auf serbischen Boden jedenfalls noch nicht von meinen Vorurteilen lösen. Dass mein Rad 2 Kilometer entfernt, unangeschlossen in einer Futterkammer bei Micha auf dem Hof stand, bereitete mir viel mehr Kopfschmerzen als der mit Cola gemischte Wein. Alles was ich an diesem Abend bei mir trug, war mein Portemonnaie. Ca. 25 €, meinen Personalausweis und meine Visakarte. Mein restlicher Besitz befand sich an einer für mich nicht zugänglichen Stelle, die ich wahrscheinlich nicht einmal mehr wiedergefunden hätte. Zum Ersten war ich betrunken und zum Zweiten fuhr Micha relativ umständliche Wege zu seinem Schwiegervater. Trotz des Rausches, in dem ich mich zweifellos befand, wurde mir diese Situation nach einigen weiteren Bechern schlagartig bewusst. Was hatte ich mir dabei bloß gedacht? Lässt dich von einem wildfremden Menschen in irgendein Dorf verschleppen, abfüllen! Und wenn hier einer nachts mit einer Axt vorbeikommt, weiß niemand, wo du erschlagen wurdest.

Im Nachhinein schäme ich mich wirklich für diesen Gedanken, aber an einen festen Schlaf war natürlich nicht zu denken. So behielt ich auf der angebotenen Couch alle meine Klamotten an und eine Hand immer auf der Tasche mit meinen verbliebenen Besitztümern. Und ich machte mir Sorgen… Nicht zu knapp. Aber natürlich raubte mich niemand aus und die Versuche, mich zu erschlagen waren exakt Null. Ich schlief sogar irgendwann ein und wurde nur ein einziges Mal wach, nämlich als ein heftiges Gewitter losschlug. Nach dem morgendlichen Erwachen fühlte ich mich wesentlich besser. Die Rückenschmerzen vom Vortag waren völlig verschwunden und nebenan schliefen meine beiden Gastgeber noch immer den Schlaf der Gerechten. Also stahl ich mich leise aus dem Haus, um eine zu rauchen und schon dabei beschlich mich das ungute Gefühl, mich – wenn auch nur in Gedanken – absolut unwürdig für die erbrachte Gastfreundschaft verhalten zu haben.

Als Micha dann zerknittert, mit Brummschädel aus dem Bett kroch, meinte der nur, huha, du bist wohl Einiges gewöhnt. Aber es liegt tatsächlich an der vielen Bewegung und dem Talent, meistens zu merken, wann ich besser nichts mehr trinken sollte.

So startete der Tag genau so, wie der andere geendet hatte. Voller Gastfreundschaft. Michas Schwiegervater machte uns einen herrlichen serbischen Kaffee und war offensichtlich erleichtert, dass ich ihm heute Nacht nicht mit der Axt den Schädel eingeschlagen hatte. Weil, dieser Micha schleppte hier einfach irgendeinen Typen von der Straße an, der ja vom Aussehen her durchaus ein Serienkiller auf Europatour sein könnte.

Natürlich weiß ich nicht wirklich, was er gedacht hat, aber meine Ängste lassen sich auch gut auf andere übertragen, oder? In diesem Licht muss ich die Gastfreundschaft der Serben noch einmal ganz besonders betonen. Denn ganz offensichtlich zählt die Bereitschaft sich auf fremde Menschen im eigenen Haus einzulassen, viel mehr als die Angst vor ihnen. Ich habe demütig an diesem Morgen eine der wichtigsten Lektionen gelernt. Was ich selber denk und tu… hat mal gar nichts mit dem zu tun, was andere machen.

Micha jedoch blies zum Aufbruch, ab zum Bäcker erst einmal Joghurt… Ja, ja. Ich weiß. Und Börek, dass musst du probieren!“ Eines der besten Frühstücke, das ich je hatte. Borek mit Käse und Joghurt, so könnte mein Tag eigentlich immer anfangen. Micha war völlig überzeugt, dass dies die einzige Möglichkeit war, sich für einen harten Tag auf dem Feld zu rüsten und ich bin sicher, dass er auch hier wieder einmal Recht hatte. Denn in Verbindung mit der absolut unwiderstehlichen Suppe, die mir seine Schwiegermutter ein paar Stunden später noch vorsetze, war ich für den gesamten restlichen Tag ohne ein drückendes Sättigungsgefühl bestens gerüstet für die noch ziemlich lange Strecke nach Novi Sad. Micha, seine Familie und dieses kleine serbische Dorf haben mich tiefer beeindruckt, als irgendein anderer Teil meiner Reise. Als ich mit meinen vollständig ausgestatteten Fahrrad einige Stunden später Feketić verließ, durchströmte mich ein Gefühl der Dankbarkeit und der Vorfreude auf ein paar tolle Tage in Serbien. Ja, hier ist alles ganz anders, als ich es erwartet hatte. Nicht schöner, aber viel reicher und das auch ohne Geld.