Serbien – Kulturschock Feketić Teil 1

Nach dem Wiedersehen mit Micha, musste der erst einmal Joghurt kaufen gehen. Eine für mich relativ unbedeutende Aktion und ich war mir nicht im Klaren, warum er das jedes Mal so betonte. Er ging also in eine Bäckerei am Platz, kaufte sich eine etwas undefinierbare Teigmasse und 2 Becher Joghurt. Dann setzte er sich in aller Seelenruhe hin und quatschte in perfektem Serbisch mit der Verkäuferin und in perfektem Deutsch mit mir. Also fragte ich ihn, warum er denn so gut Serbisch sprechen kann und er erklärte mir die Hintergründe. Micha ist eigentlich in Serbien geboren und dann im Alter von 5 Monaten nach München ausgewandert. Das ist aber bereits 40 Jahre her, merkte er an. Er sagte, bis vor wenigen Jahren hätte er ebenfalls nur sehr wenig in der Sprache seines Geburtslandes sprechen können. Dann lernte er bei einem Besuch von Verwandten hier seine jetzige Frau kennen und lieben. So kam eines zum anderen und deswegen sei er jetzt eben zum Geburtstag seiner Schwiegermutter hier. Für die ist übrigens auch die Waschmaschiene, die ich hinten im Auto gesehen habe. Ihre jetzige ist blöd. Willst auch einen Joghurt? Was hatte er bloß immer mit diesen Joghurts? Obwohl ich in diesem Moment echt mehr Lust auf ein kaltes Bier hatte, nahm ich auch einen und verstand relativ schnell, warum sich die Serben das Zeug permanent hinter die Binde kippen. Es erfrischt und sättigt und zwar ganz schön rasch. Aber was eigentlich viel besser ist, es macht nicht besoffen…

Micha futterte seinen Teigklumpen auf und deute an, dass es jetzt Zeit wäre zu gehen. Ich fragte ihn also, wie ich jetzt zu seinem Haus komme. Na, mit dem Auto. Ist ja schließlich noch ein Stückchen bis dorthin, sagte er in einem völlig selbstverständlichen Ton. Wir werfen Dein Rad einfach hinten rein und dann fahren wir rüber. Okay, also Rad abpacken, alles im jetzt bereits leeren Kadett verstauen und los. Eigentlich nicht konform mit ich mache die Tour komplett mit Muskelkraft. Aber die Nacht bei ihm sollte mich auch ziemlich weit von der Route wegbringen. Es ging nämlich in ein mittleres Dorf mit dem Namen Feketić und das lag auch noch einmal gut 20 Kilometer entfernt von Kulla.

Gleich am Ortseingang fing der Spaß an. Hier stand nämlich eine Polizeistreife, die beim Anblick des Münchner Kennzeichens sofort die Kelle hob. Micha blieb völlig ruhig, hielt an und begann ein recht lockeres Gespräch mit den beiden Uniformierten. Natürlich hab ich kaum etwas verstanden, nur dass er ihnen meine Tour erklärte, dass er zu Besuch bei seiner Schwiegermutter wäre, ursprünglich selbst aus der Gegend kam und den Polizisten ziemlich eindringlich seinen Nachnamen erklärte. Sie sahen sehr ungläubig aus, entließen uns aber trotzdem sehr schnell wieder in die Freiheit. Kein Führerschein, keine Fahrzeugpapiere, Michas Wort, dass er der wäre, als der er sich ausgibt, reichte völlig? Sehr erstaunt fragte ich ihn, ob Polizeikontrollen hier immer so ablaufen. Er grinste und meinte, natürlich nicht. Im Normalfall tut man als Touri gut daran, sie auf einen Kaffee einzuladen, sonst konnte es sehr lange dauern, bis die Herren je nach Zustand des Autos einen berechenbaren Mangel gefunden hätten. Ich dürfe nicht vergessen, dass ein Polizist in Serbien irgendwas um die 300 Euro Monatslohn bekommt, und jede kleine Aufmerksamkeit stimmt ihn nicht nur sehr milde, sondern tatsächlich auch ziemlich dankbar. Der Serbe ist wirklich sehr offen und da tut die Uniform auch nichts zur Sache. Ein kleiner Schein extra könnte längerer Gespräche zu vermeiden helfen.

Und tatsächlich, auch wenn europäische Regierungsinstanzen dringend von der kleinen Korruption abraten, ein 5er oder ein 10er tut keinem Touri wirklich weh und bringt einen unter Umständen etwas schneller ans Ziel. Wer allerdings Bock auf lange Gespräche mit den Gesetzeshütern einer fremden Kultur hat, sollte sich das nicht entgehen lassen. Die sind im Normalfall nämlich sehr hilfsbereit und auskunftsfreudig und vor allem immer für einen Spaß zu haben. Wer sich jetzt jedoch aufregt, dass ich die Unterstützung der Korruption nicht verteufele, dem sei mal die große Korruption im eigenen Land ans Herz gelegt. Immerhin ist ein Argument für die hohen Diäten unserer Politiker, die daraus resultierende Unbestechlichkeit der selbigen. Dann lieber dem Familienvater in Uniform ein paar Euro geben, da weiß ich wenigstens, dass er sie gebrauchen kann.

Dank Michas hervorragendem Serbisch ging es für uns jedoch völlig unbehelligt weiter, hinein in den Kern des Dorfes. Und hier muss ich zugeben, wurde es mir das erste Mal etwas unbehaglich zumute. Denn was hier die Bezeichnung Häuser trug, war eben mit nichts vergleichbar, was Häuser bei uns bedeuten. Es gab zwischen den teilweise sehr alten Lehmbauten auch immer wieder ein paar sehr moderne Artgenossen, aber der Großteil der Häuser war doch ziemlich alt und auch etwas heruntergekommen. Kurz und knapp, die Menschen lebten hier offensichtlich in sehr ärmlichen Verhältnissen und so war auch Michas Haus von außen nicht gerade als Prunkbau zu bezeichnen. Fließend (aber kein Trink-) Wasser und Strom, dass sind hier die Standards. Telefon, Abwasser oder Internet die luxuriöse Ausnahme. Das hält den Serben jedoch nicht davon ab, sich sein Reich so gemütlich wie möglich zu gestalten. Auch wenn die Räume nicht riesig sind, Sitz- und Schlafgelegenheiten gibt es im Überfluss, was eindeutig für die sprichwörtliche Gastfreundschaft dieses Volkes spricht.

Im Nachhinein kann ich sagen, dass sich die Serben wirklich immer über Besuch freuen und auch wenn sie fast nichts haben, teilen sie von Herzen gerne, was sie haben. So gab es auch gleich nach der Ankunft gefüllte Paprikaschoten und als Dreingabe ein großes Stück Geburtstagstorte von Schwiegermutter. Micha unterhielt sich gleichzeitig mit mir in Deutsch und mit seinem Stiefschwiegervater in Serbisch. Kaum verschwand er einmal, wurde es ruhig, denn sowohl Schwiegervater als auch ich konnten keine vernünftige Kommunikation zu Stande bringen. War aber tatsächlich auch nicht nötig, denn der Herr schien wirklich nicht unzufrieden mit meinem Auftauchen zu sein und so war ich es auch nicht. Und richtige Männer können sich auch mal schweigend am Tisch gegenüber sitzen. 🙂

Irgendwann schnappte Micha sich seinen Sohn, eine leere 2 Literflasche Cola und mich und sagte: Wir fahren jetzt zum Schweizer, Wein holen und danach zum leiblichen Vater seiner Frau – Wein trinken.
Zeit mit herumeiern verschwendet der Typ wirklich nicht. Also rein ins Auto, zum nächsten Laden an der Straße, frische Cola gekauft und dann ab zu einer Prachtvilla am anderen Ende des Dorfes. Der absolute Kontrast zu Michas Behausung. Dort empfing uns ein junger Mann, dem Micha für ein paar Dinare eine Füllung seiner Colaflasche mit einem unglaublich leckerem Rotwein abluchste. Der junge Mann stellte sich als Sohn eines Schweizers heraus, der sich hier in diesem ärmlichen Landstrich auf den Weinanbau spezialisiert hat und das nach meinen sehr bescheidenen Weinkenntnissen offensichtlich sehr erfolgreich.

Für uns ging es dann weiter zu Schwiegervater Nr.2 und dort erwarteten mich wieder keine prunkvollen, dafür sehr gemütliche Zustände. Auf Papas Hof feierten gerade ein paar junge Kerle eine kleine Party mit frisch Gegrilltem, viel Alkohol und lauter Musik. Sie beäugten uns zwar kurz, verloren aber schnell das Interesse. Der Topf mit dem Gegrillten machte die Runde, Micha mischte uns beiden Cola und Wein zusammen, was sein Schwiegervater nur mit einem Kopfschütteln akzeptierte und dann fing Micha an, aus dem serbischen Nahkästchen zu plaudern.

Während der Haus und Hof-Chef sehr genussvoll nur kleine Schlucke seines unverpanschten Weines schlürfte, becherten wir ganz schon was weg. Micha hat dadurch, dass er in Deutschland aufgewachsen, dann aber wieder in diese Kultur verwurzelt ist, natürlich einen ganz anderen Einblick. Er sieht und er redet auch über die Schattenseiten der Ungar-Serben. Er weiß ziemlich genau, dass die Menschen hier ihre Sommer mit großer Lebensfreude verbringen, es aber dadurch manchmal versäumen ausreichend Vorräte (Feuerholz usw.) für den Winter anzulegen. Viele werden dann im Winter sehr depressiv und ziehen sich tief in ihre Häuser zurück. Das Leben hier ist hart und reich an Entbehrungen im Winter, lustig und gesellig im Sommer. Veränderungen, so sehr auch von ihnen selbst erwünscht, werden nur schleppend oder gar nicht in Angriff genommen. Da Micha aber seine zweite Heimat spürbar sehr am Herzen liegt, hat er seine eigene Strategie entwickelt, den Menschen hier zu helfen. Er kümmert sich um ungarische und damit EU-Pässe, die den Menschen hier auch tatsächlich zustehen und holt sie für einige Wochen zu sich, um ihnen das Leben in Deutschland schmackhaft zu machen. Etwas resignierend gestand er, bei einigen klappt es und sie suchen sich Arbeit, bei anderen eben nur so lange, bis sie genug Geld für die kalten Monate zusammen haben und ein großer Teil kann mit der neuen Situation überhaupt nicht umgehen. Geld, welches sie in Deutschland verdienen, wird sofort in die Häuser hier gesteckt und sobald das erledigt ist, kommen sie sofort zurück. Sie sind nicht sonderlich leicht zu entwurzeln, sagte er.

Für einige wird jetzt vielleicht das Klischee bedient, dass er seine Landsleute nach Deutschland holt, wo sie für Billiglöhne arbeiten gehen, aber hier geht es wirklich um die Existenz dieser Menschen. Ein Sozialsystem, wie wir es aus Deutschland kennen, gibt es hier nicht. Die Menschen hier haben nur sich, ihre Familien und Freunde – und das mitten in Europa. Ich persönlich habe kein Problem mit Michas Sorge um seine Familie, finde den Ansatz ehrenhaft, aber falsch. Denn diese wunderbaren Menschen gehören genau hierher und es wäre unsere Aufgabe, als reichstes Land Europas den Fortschritt zu ihnen zu bringen. Nebenbei könnten wir echt ziemlich viel von ihnen lernen, wenn es um Lebensart und Geselligkeit geht. Aber gut, ein Stadtschloss und eine Garnisonskirche tun es auch. Überlassen wir die Menschen hier ruhig ihrem Schicksal, die Natur wird es schon richten…

Der Abend wurde noch spannender, und dass ich trotz großer Gastfreundschaft eben doch nicht aus meiner deutschen, immer einen Haken vermutender Haut heraus kann, schreibe ich euch morgen.