Route Csátalja – Feketić (Serbien)

Der aufregendste und zugleich spannendste Aspekt meiner Reise ist, dass ich zwar im Vorfeld immer so ungefähr die Strecke plane, aber doch morgens nie so richtig weiß, wohin es mich abends verschlägt. Grundsätzlich war die heutige Strecke klar. Es sollte vom ungarischen Csátalja in die Nähe der serbischen Stadt Novi Sad gehen, weil dort laut meiner App ein Campingplatz zu finden wäre. Ein sehr wagemutiges Ziel, war die Strecke doch über einhundert Kilometer lang und das bei Temperaturen von weit über 30 Grad im Schatten. Hinzu kam, dass ich es in letzter Zeit nach Ruhetagen in einem richtigen Bett, immer wieder mit Rückenschmerzen zu tun bekomme, wenn ich ins Zelt krieche. Liegt aber weniger am Bett, sondern wahrscheinlich mehr daran, dass ich dann sehr viel sitze und schreibe. Und so erging es mir an diesem Sonntag nicht besser. Nichts, was mich grundsätzlich vom Fahren abhalten würde, verschwinden diese Problemchen doch häufig nach den ersten Kilometern. Aber alle diese Unwegsamkeiten – langer Weg, Hitze, Rücken – ließen das Etappenziel sehr ehrgeizig erscheinen. Aber watt mutt, datt mutt und wer weiß, wie es mir nach einem weiteren Tag Pause ergehen würde. Also Taschen gepackt und auf Richtung Serbien.
Denn so schön, wie es in Ungarn auch ist, ich bin ja schließlich nicht hier, um wunderschöne Urlaubsdomizile ausfindig zu machen, sondern um meine Neugier nach dem großen Unbekanntem zu befriedigen.

Und wo könnte das besser gelingen, als in einem Land, welches niemand so richtig auf dem Schirm hat? Als klassisches Urlaubsland gilt Serbien ja in unseren Gefilden nun wirklich nicht. Warum das so ist, das galt es herauszufinden. Und so startete ich mich mit einer großen Portion Neugier – und das will ich nicht verhehlen, mit einer kleinen Portion Angst. Ein großer Spaß war, ich verließ heute das erste Mal in meinem Leben die europäische Union und durfte meinen bis dato unangetasteten Reisepass benutzen. Nicht, dass man den wirklich braucht. Ein Personalausweis reicht an der ungarisch-serbischen Grenze völlig, aber ich bestand auf meinen Stempel! Es gibt doch teilweise sehr merkwürdige Motivationen, oder? Aber was für einige von euch ein alter Hut sein dürfte, war für mich eben Neuland, welches es zu erforschen galt.

Nachdem ich mich nochmals vollständig mit Wasser und Lebensmitteln eingedeckt und einen letzten medialen Gruß in die Heimat versandt hatte (ich wusste ja weder, wie die Grundversorgung, noch die Internetverbindung in Serbien klappt), nahm ich also die letzten Kilometer zur Grenze in Angriff. Und plötzlich… bis auf dem Stempel nix Neues. Kleine Läden, Wegweiser und sogar offentliches Internet. Nanu, sollte ich mich doch getäuscht haben? Serbien, das kleine, krisengeschüttelte und rückständige Land, nun doch ganz anders als erwartet? – Aber da! Zum Glück kam mir das erste Mal auf der Tour endlich ein Bauer mit Pferdegespann entgegen. Wusste ich es doch, die sind so arm, die können sich wenn überhaupt nur klitzekleine und absolut alte Autos leisten. Der Bauer grinste mich gleich an, auch dieses Vorurteil, dass der Serbe ein sehr freundlicher und aufgeschlossener Mensch ist, schien sich zu bewahrheiten, drückte auf einen Knopf und eine Hupe ertönte, die wohl einige Kreuzfahrtschiffe hätte vor Neid erblassen lassen. Das Pferd nahm es gelassen, der Alte macht das wohl öfter. Dann kamen mir einige wenige Autos entgegen, die aber leider meinen Vorurteil auch nicht gerecht wurden. Vielleicht ein etwas höheres Durchschnittsalter als bei uns, aber keineswegs in mieserablem Zustand. Aber aus jedem zweiten Auto wurde gegrüßt und gewunken, so dass ich schnell den Eindruck bekam, irgendwie sitzt den Menschen hier der Schalk im Nacken. Offensichtlich sollte mein einziges Problem hier wieder einmal die Sprache sein.

So wunderte ich mich nicht schlecht, als nur wenige Kilometer hinter der Grenze ein Auto dicht neben mir herfuhr und der Fahrer irgendetwas zu mir rüber brabelte. Mit so doofen Kommentaren im Kopf wie, Fahr doch vorbei, du Blödmann oder Es ist doch genug Platz für uns beide da, wollte ich mich schon meines Verfolgers entledigen, als ich plötzlich irgendwas wie Bist du Deutscher? hörte. Da ich aber keinen Schimmer von der serbische Aussprache hatte, war ich mir natürlich nicht sicher. Also tat ich das, was in diesem Fall meine absolute Geheimwaffe ist, ich guckte blöd und sagte ja. Da man ja beim blöd Gucken auch Zeit zum gucken hat, erkannte ich, dass es sich um einen vollbeladenen Opel Kadett mit Mann, Frau, zwei Kindern und einer Waschmaschine handelte. Der Mann schaute erfreut und quasselte mich auch gleich weiter in dieser merkwürdig vertrauten serbischen Sprache voll. Nee, Moment, das war nicht serbisch, dass war Deutsch! Ein leicht bayrischer Dialekt, aber eindeutig deutsch. Ich hielt an und auch der Wagen neben mir kam zum stehen. Der Kerl stieg aus, stellte sich als Micha aus München vor und erzählte gleich frei von der Leber weg, er sei auf dem Weg zu seiner Schwiegermutter, die heute Geburtstag hätte. Und wo kommst Du her? Berlin? Mit dem Rad? Cool. Wo schläfst Du heute? Campingplatz vor Novi-Sad? Gibt es nicht! Pass auf, du schläfst heute bei mir! Du fährst jetzt diese Straße weiter bis Kulla – so 30 Kilometer und um halb 3 treffen wir uns da am Busbahnhof. Ich hole dich da ab! Widerrede, ängstliches Gucken… Ignoriere ich! Wir Deutschen müssen im Ausland zusammenhalten und ganz besonders in Serbien!!! So, los jetzt, ist noch ein ganz schönes Stück und du hast nur 2,5 Stunden.“

Ich war nicht in diesem Moment nicht in der Lage abzulehnen. Micha zog ab, ich fuhr auch wieder los und ein Haufen von Ausreden schossen mir durch den Kopf, warum das ganz bestimmt nicht gehe, dass ich bei wildfremden Menschen in Serbien übernachte! Nein, das geht ganz und gar nicht! Ich kenne den doch nicht und Gastfreundlichkeit in allen Ehren, aber der kennt mich doch auch nicht.
Kaum 3 Kilometer weiter, ich noch tief in Gedanken, wieder der Kadett und Micha, der mir wie bei der Tour de France Wasser reichen wollte. Davon hatte ich genug, aber jetzt wäre der richtige Zeitpunkt um das tolle Angebot auszuschlagen… Denk dran halb 3, Kulla am Busbahnhof! Und weg war er wieder. Mensch, wir sollten reden! Dann das nächste Dorf, Micha am Straßenrand: So, jetzt ist es nicht mehr so weit. Da vorne nach rechts abbiegen, über die Ampel und dann immer der Hauptstraße folgen.Aber Micha, das macht doch Umstände, ich will keine Umstände machen! – Was für Umstände? Ich hab mehr als genug Platz, wenn das mal in München so wäre. Kein Problem, meine Schwiegereltern freuen sich total über Besuch und vor allem, wir Deutschen müssen zusammenhalten, gerade in Serbien! So weiter.

Okay, genau wegen solcher Dinge bin ich ja eigentlich auch unterwegs. Ich beschloss, Michas nachdrücklicher Einladung zu folgen. Abhauen konnte ich ja zur Not immer noch.
Wie bereits in Österreich und Ungarn, werden auch in Serbien Entfernungsangaben eher wage ausgedrückt. Aus 30 Kilometern wurden 45 bis Kulla und ab hier wären es auch nochmal locker 50 Kilometer bis Novi-Sad gewesen. Campingplätze in Serbien sind sehr überschaubar vertreten und somit war ich kurz vor Kulla dann doch froh über die Einladung. Die Sonne brannte unerbitterlich und ich war schon sehr zufrieden, als ich an der Hauptstraße endlich Micha entdeckte. Na, da bist Du ja, meinte der offensichtlich ernsthaft erfreut und somit waren alle Restzweifel komplett erloschen. – Heute Nacht also in einem serbischen Dorf, bei wildfremden Menschen schlafen… Ich mach das einfach. Die werden mich schon nicht fressen… oder doch?

So ihr Lieben, bevor Jule wieder schimpft, dass es zu viel zum lesen wird, vertröste ich euch mit dem Rest der Geschichte auf morgen. Nur so viel sei verraten, gefressen hat mich keiner… aber es war der aufregendste Abend der gesamten Reise

Zum Thema Fotos:
Die Fotos von der Grenze habt ihr bereits gesehen. Die Landschaft in Nordserbien ist landwirtschaftsgeprägt und eher langweilig. Fotos gibt es daher leider keine. Und auch von Michas Dorf habe ich aus Gründen der Privatsphäre der hier wohnenden Menschen keine gemacht. Aber ich versuche euch das möglichst authentisch zu beschreiben.