Als ich an diesem Morgen aus dem Zelt kroch, lag Katerstimmung in der Luft. Genau wie zu Hause erledigte der weibliche Teil der Hochzeitsgesellschaft nach höchstens 4 Stunden Schlaf zwar schon die Aufräumarbeiten, aber von den harten Kerlen der vergangenen Nacht war höchstens mal ein, von der Frau aus dem Bett geschliffenes, zerknautschtes Gesicht zu sehen. So wohl fühlten sie sich scheinbar nicht – und schon gar nicht in Anbetracht der Tatsache, dass die Party heute Abend in die nächste Runde gehen sollte. Da ich hingegen gar keine Probleme mit dem Aufstehen hatte, amüsierte mich der Anblick eigentlich mehr und ich begann mein Zelt abzubauen. Ein größeres Highlight als das Gestrige konnte es heute Abend kaum werden und so beschloss ich, hier keinen Ruhetag einzulegen.
Ein kurzer Plausch mit meinem deutschen Nachbarn brachte mir noch die Erkenntnis, dass der Donauradweg für diese Etappe auf der slowakischen Seite schöner sein soll und so beschloss ich, noch einmal für diesen Tag in die Slowakei zurückzukehren.
Hier verläuft der Radweg vorwiegend auf dem Deich und ist, trotz des teils ziemlich anstrengenden Untergrundes, viel angenehmer zu fahren als auf der ungarischen Seite. Zu sehen gibt es bis auf die Donau allerdings auch nicht viel und stellenweise ist es mit der Beschilderung hier so eine Sache. Was die Österreicher und die Ungarn ganz hervorragen gelöst haben, ist bei den Tschechen und den Slowaken noch nicht ganz ausgereift. Oftmals sind die Radwegbezeichnungen nur auf die Bäume gepinselt und im Vorbeifahren leicht zu übersehen. Da er hauptsächlich an der Donau entlang geht, ist er nicht so schwer wiederzufinden. Nur kurz vor meinem Etappenziel Esztergom zweigt er vom Damm in eine kleine Stadt ab. Diese Abzweigung habe ich natürlich prompt verpasst. So stand ich plötzlich vor einem großen Schild, das mir die Weiterfahrt strikt untersagte. Nun war ich bis heute noch nicht aus dem Schema vorwärts immer, rückwärts nimmer ausgebrochen. Da das Schild in einem 45 Grad Winkel zum Weg stand und auf einen hohen Wall zeigte, beeindruckte mich das erst einmal nicht. Denn wenn man das Schild und die Schranke über den Weg außer Acht ließ, ging die Straße ja praktisch noch weiter. Zumindest augenscheinlich. Also überlegte ich mir, wenn du einfach an diesem Wall unten entlang fährst, wirst Du schon irgendwann in die Zivilisation zurückfinden. Ebenfalls wurde der Weg direkt hinter der Schranke wesentlich besser, und ich beschloss das als Zeichen für eine Weiterfahrt zu sehen. Weit konnte es jetzt eh nicht mehr sein, es war noch relativ früh – was hatte ich also zu verlieren?
Vielleicht sollte man aber manchmal doch auf die Schilder hören. Irgendein schlauer Mensch wird sich schon etwas bei ihnen gedacht haben…
Also, dieser Wall gehörte zu einem Industriekomplex und der hatte einen direkten Donauzugang und deshalb konnte man sich auch nicht daran vorbei schleichen. Aber immerhin ging er noch 3 Kilometer, so dass ich, um meinen Fehler ausgleichen zu können, nur mit 6 zusätzlichen Kilometern bestraft wurde. Das blöde war nur, dass die verpasste Abzweigung ca. 4 Kilometer vor dem abgesperrten Gelände war. Und nein! 14 Kilometer Umweg, darauf hatte ich nun wirklich keinen Bock. Also schlug ich mich kurz hinter der Umzäunung über Landwirtschaftswege durch.
Was gut für Traktoren sein sollte, erwies sich aber als ziemlich gemein für mich. Wer einmal zu Ostzeiten auf der Autobahn gefahren ist, kann sich ungefähr vorstellen, wie sich solche Wege aus unterschiedlich hohen, 75 cm breiten Betonplatten fahren. Mit einem komplett ungefederten Rad – ziemlich schwierig. Aber dafür standen an diesen Wegen überall Bäume mit den herrlichsten Früchten! Nur traute ich mich keine zu essen, weil gleich nebenan dieses Industriedingens stand und ich mir absolut nicht sicher war, ob es vielleicht nicht auch ein Atomkraftwerk mit nur 130 Zwischenfällen diese Woche war. Gibt es in der Slowakei überhaupt Atomkraftwerke?
Ich wusste es nicht und deshalb gab es eben auch keinen Snack zwischendurch, sondern mein inzwischen knurrender Magen musste sich halt bis zur nächsten Tankstelle gedulden. Diese fand ich auch recht schnell in Štúrovo, der slowakischen Schwesterstadt meines heutigen Etappenziels. Wohl genährt ging es dann auf den letzten Abschnitt der Stecke.
Als ich von der Tankstelle in die Stadt herunterfuhr, traf mich der Anblick auf Esztergom wie ein Blitz. Aus noch mindestens 7 Kilometern Entfernung ragte über der Stadt eine Kathedrale heraus, doch es machte den Anschein, als stünde ich direkt davor. Einzig die kleinen Punkte am unteren Ende der Straße, die wohl Autos darstellen sollten, verliehen mir eine ungefähre Vorstellung über die riesige Distanz und damit die gewaltigen Ausmaße des Prachtbaues. Das Ding war gigantisch und die darunterliegende Festungsanlage machte das Bild perfekt.
Esztergom war irgendwann vor langer Zeit mal der ungarische Königssitz und dies hier war der Königspalast. Erst mit dem Einfall der Türken zog sich der König nach Budapest zurück und der ansässige Erzbischof riss sich das Ding unter den Nagel. Seitdem haben viele Generationen von hohen Gläubigen das Bauwerk immer wieder erweitert und somit ist es auch bis heute noch das Erzbischoftum dieser Region.
Na, wer kann, der kann.
Direkt an der Donau gelegen, fand ich dann noch einen tollen, gemütlichen Campingplatz mit (leider wieder einmal) zu viel Platz für mich allein. Aber trotzdem, ein Wahnsinnsausblick, einen schönen Platz und ein tolles Restaurant an der Einfahrt… konnte der Abend noch besser werden?
Konnte er. Denn unter den spärlichen Gästen war Glenn. Dieser lud mich (nachdem ich leider schon das eine oder andere Bier zum Abendessen hatte), zu einem Rum/Cola ein. Dabei kam heraus, dass er mit seinem kleinen Peugeot von Frankreich aus auf Tour ist. Er selbst ist Amerikaner, lebt aber in Frankreich und unterrichtet dort Englisch. Er muss ein toller Lehrer sein, denn an diesem Abend konnte ich mein Sprachwissen trotz des Alkohols gut erweitern. Danke Glenn, sowohl für den Unterricht, als auch für die Longdrinks.
Es war ein sehr spannender und unterhaltsamer Abend, der mir unter anderem die Information brachte, dass die Slowakei durchaus Atomkraftwerke hat… Und eines sollte auch gar nicht so weit weg von hier sein. 🙂 Vielleicht war unter meinen ganzen blöden Ideen tatsächlich mal wieder eine ganz gut gewesen. Und während meine Freunde in der fernen Heimat wahrscheinlich gerade die Bars unsicher machten, beendete ich mindestens genauso betrunken, dafür aber um viele Erfahrungen und Informationen reicher, den heutigen Abend.
Der nächste Tag würde wieder ein Ruhetag werden und somit war es nicht so schlimm, dass ich heute besoffen ins Zelt krabbelte.