Etappe Sec – Pernstejn

Von (fast ausgeräumten) Sprachbarrieren, (schlecht auszuräumenden) Gebirgsbarrieren und einem wirklich tollen Abend

Hey, wisst ihr was? Meine Sprachprobleme sind verschwunden. Ist jetzt nicht so, dass ich eine Sprache besser kann als vor meiner Abreise, aber man wird flexibler. Inzwischen sind die Komplexe, dass mich keiner versteht, dem bloßen Drang zum Überleben gewichen, und ich bin beim malen meiner Bedürfnisse fast zur Perfektion gelangt. Wie erkennt man mit absoluter Sicherheit, dass man unverstanden ist? Gehe in die Rezeption eines tschechischen Zeltplatzes, frage die nette Frau, die dort sitzt, ob sie Englisch oder Deutsch spricht, und warte das Gesicht ab. Gehe dann in einen Berliner Dönerladen, lass dich von einem Türken über die Vorzüge des Kalbsfleischs in sauberem Türkisch aufklären, stelle dich vor einen Spiegel und vergleiche dein Gesicht mit dem der Rezeptionistin… wenn du dir sicher bist, kein Türkisch zu sprechen, sollte es ähnlich aussehen. So ein großes Gesichtsfragezeichen eben.

Also (und da bin ich inzwischen schlau geworden) habe ich meinen Schreibblock genommen,  auf dem ich kurz und knapp einen Campingplatz mit Mond, ein Zelt und ein Strichmännchen gekritzelt habe. Die Rezeption mit einem Schloss davor und fertig ist der Kontext. Wenn euch Archäologen mal für Höhlenmalereien begeistern wollen, alles Quatsch, was sie erzählen. Da sind bloß fernreisende Höhlenmenschen nach Rezeptionsschluss in die Höhle gekommen.

Zumindest rang ich ihr ein Lächeln ab, dann nahm sie ihren Computer, startete den Googleübersetzer und alles ging auch viel schneller. Blöde Effizienz. Ich hätte nichts gegen noch ein bisschen Malerei gehabt. Aber dadurch wurde mir eines ganz schön deutlich. Die Tschechen scheinen manchmal ein bisschen verschlossen, aber mit solch kleinen Gesten kann man ruckzuck das Eis brechen und dann wird es toll. Auch wenn die Verständigung oftmals nicht reibungslos klappt, meist bekommt man aber doch das, was man möchte. (Heute Mittag gab es statt Kroketten Kartoffelbällchen, aber was soll es… die hätte ich eh genommen, hätte ich die Karte lesen können.)

Für mich ging es in ungefähr so weiter wie gestern. Nur, dass alles, was ich gestern hatte, heute noch einmal übertroffen wurde – also die Berge waren höher. Da ich mir am Morgen auch wieder schön die Tour ausgerechnet hatte und auf schlappe 88 Kilometer Restfahrstrecke bis Brünn gekommen war, war ich optimistisch das bis zum Nachmittag zu erreichen. Nach circa zwei Stunden Fahrt fand ich eine gemütliche kleine Holzhütte abseits der Straße, die ich kurzerhand zu meinem Frühstücksdomizil auserkoren hatte. Allerdings machten mir dort sechs oder sieben Wespennester einen Strich durch die Rechnung, so dass ich mit knurrendem Magen weiterzog.

Den gestrigen Tag noch tierisch in den Knochen und heute noch nicht ernährt, musste ich bei einigen Passagen aufgeben und das Rad schieben. Es war einfach keine Kraft mehr in den Beinen für solche Anstiege. Der fahrerische Höhepunkt war der, dass ich einen acht Kilometer langen Aufstieg meisterte, dann auf die Karte schaute und der Meinung war, ich wäre völlig falsch und viel zu weit gefahren. Also dann umdrehte, acht Kilometer wieder runter (Jippie), um mich dann unten noch einmal neu zu orientieren. Was soll ich sagen – falsch gedacht. Als ich noch oben war, war ich genau richtig. Dafür hätte mich eigentlich wieder jemand zur Strafe wegdrängeln müssen. Hat man mich aber nicht, und so bin ich fluchend den Berg wieder hinauf. Landschaftlich gab es aber (in diesem Moment sowieso) nichts Neues. Nicht, dass es nicht auch wunderschön gewesen wäre, aber wie soll ich das von gestern noch besser beschreiben? Eine supertolle Landschaft.

In Hlinsko traf ich dann erneut auf den Radweg „1“, der noch 115 Kilometer bis Brünn auspries. Zu dem Zeitpunkt war ich um die Erkenntnis mit den flacheren Strecken noch nicht bereichert, so zeigte ich dem Wegweiser den Stinkefinger und setzte meine geplante Tour trotzig fort. Denn selbst wenn es noch hügelig blieb, irgendwann musste dieses blöde Gebirge ja schließlich auch mal ein Ende haben. Dachte ich zumindest. War aber nicht so. Es ging weiter und weiter, hoch und runter. Nach weiteren 45 Kilometern Fahrstrecke kam ich erneut an einem Hinweisschild des Radweges vorbei, das nun noch 85 Kilometer bis Brünn anmerkte. Komisch. Hatte ich doch gerade 45 Kilometer auf der angeblich viel kürzeren Strecke gemeistert und hatte laut dem „1“ gerade einmal – wartet – überhaupt nichts gut gemacht. Selbst den Verfahrer abgezogen, war es gerade mal ein lumpiger Kilometer. Irgendwas stimmte doch hier nicht. Entweder die Angaben auf den Schildern oder die in meiner Karte waren falsch. Jetzt war der Ofen aus. Wenn ich eh nichts im Gegensatz zum Radweg sparte, konnte ich doch wenigstens die verkehrsärmeren Strecken nutzen. Da sich ab jetzt auch die Höhenunterschiede in Grenzen hielten, baute ich mir gestern beschriebene Theorie zusammen und es ging gut. Eventuelle Streckenlängen konnte ich durch weniger Schiebepassagen wieder wettmachen. Und so rollte das Ding sauber bis Bystrice durch.

Schon war es auch wieder Zeit, sich nach einer Unterkunft umzusehen. Ich war nach dem Tag völlig durchgeschwitzt und hatte die Idee, mir eine Pension zu suchen, ganz fest im Auge, als ca. 200 Meter vor mir zwei Radler mit voll bepackten Rädern am Horizont auftauchten. Jetzt wurde es spannend. Ich wusste nicht genau, ob ich wirklich noch Bock auf eine Kontaktaufnahme hatte, also drosselte ich erst einmal das Tempo, um zu sehen wie schnell die Beiden unterwegs waren. Es stellte sich heraus, dass sie aber im Moment nach einen geeigneten Platz zum Wildcampen suchten und daher natürlich nicht gerade auf die Tube drückten. Und nun kam das fantastischste, was mir bisher auf meiner Reise passiert war.


Die Beiden stellten sich als Jeremy und Nadine vor und erzählten mir, dass sie gerade auf dem Weg nach Istanbul wären. Wahnsinn! Hier mitten in der Pampa und kurz vor Sonnenuntergang hätte ich mir alles mögliche träumen lassen, aber keinesfalls auf andere Radler zu treffen, die auch noch so cool drauf waren. Sie luden mich zum mitcampen und mitfuttern ein. Ich war ein bisschen skeptisch, hatte ich mich bislang doch so großartig aus der Wildcampingaffäre gezogen und nun sollte ich doch… Aber der gesellige Abend und die vielen Hintergrundinfos waren zu verlockend. Also stimmte ich zu und baute mein Zelt gleich neben ihrem auf. Es stellte sich heraus, dass die beiden bereits im April in der Bretagne gestartet waren und schon eine ausgiebige Tour durch Frankreich und Deutschland hinter sich hatten. Und die beiden hatten bereits den Teil der Reise erreicht, den ich mir im Moment noch so dringend erhoffe. Sie waren schon voll im Freiheitsmodus. Kein Zeit- oder Kilometerdruck, keine Hotels oder Campingplätze. Alles so, wie es der Tag bringt. Ein super eingespieltes Team. Jeder (gemeinsame) Handgriff saß. Vor allem hatten sie einen unglaublichen Riecher für tolle Zeltplätze. Die Stelle hätte ich mit ziemlicher Sicherheit übersehen: direkt an einem kleinen Bach, der 25 Meter weiter in einen Fluss mündete.

Beim Erkunden der Umgebung (zum ersten Mal traute ich mich Rad und Gepäck allein zu lassen) stellte sich der Ort als kleines Paradies heraus. So konnte ich zwar nicht die erhoffte Dusche, aber ein wunderbares Bad im Gebirgsbach nehmen und das war mindesten genauso erfrischend, aber viel spannender. Jeremy zeigte sich als großartiger Koch und Nadine als wunderbare Gesprächspartnerin, die mir wertvolle Tipps mit auf den Weg gab und mir von ihren Erfahrungen berichtete. So hatten sie bislang fast keine Probleme mit Einheimischen beim zelten und kochen. Und damit etwas, was ich ab jetzt definitiv auch öfter probieren muss. Vielleicht haben die Beiden es geschafft, eine mal wieder völlig unbegründete Angst, jemanden zu belästigen, loszuwerden. Falls ihr beiden das lest: Danke! Es war ein großartiger Abend und ich hoffe wir treffen uns unterwegs noch einmal wieder.

Voll gefüllt mit wahnsinnig gutem Essen und einer riesen Portion neuer Motivation bin ich dann das erste Mal auf der Tour wirklich glücklich eingeschlafen.