Etappe Pruhonice – Sec


Ich verliere gerade völlig den Überblick über die Wochentage… Ich weiß, klingt blöde, ist aber so.
Die Etappe Prag – Hevlin hatte es echt in sich. Der bisher anstrengendste, aber ohne Zweifel grandioseste Teil meiner Reise. In den nächsten Tagen könnt ihr viel über die geografische, aber auch über meine persönliche Berg- und Talfahrt lesen. Damit es aber nicht zu viel wird, auch hier wieder in den einzelnen Tagesabschnitten.


Die Routine ist gestorben – arme Routine. Was sich komisch anhört, ist mir jetzt (leider/zum Glück) passiert. Denn inzwischen gleicht kein Tag mehr dem anderen. Wenn ich morgens aufstehe, weiß ich nie genau wo, ich abends sein werde und mit ein bisschen Distanz betrachtet, ist das ziemlich cool so. Auch wenn es in den letzten Tagen sehr schwierig war eine passende Unterkunft zu finden, hat sich das jedes Mal als Segen erwiesen. (Ihr wisst, dass ich wenig von Religion halte, aber besser kann ich es nicht ausdrücken.)

Meinen Ruhetag hatte ich im Hotel Floret in Průhonice. Ein ganz wunderbarer Platz mit einer tollen Aussicht auf ein Schloss. Sehr ruhig (bis auf die Bauarbeiten im Innenhof von 7:30 Uhr bis 17:00 Uhr), sehr ordentlich und mit einem tollen Preis-Leistungsverhältnis. Da es unglaublich warm war, waren die Bauarbeiten nicht wirklich störend, das Fenster muss eh zu bleiben. Von hier aus sollte also meine Tour de Brno starten. Frisch ausgeruht nach dem Ruhetag und einem üppigen Frühstück ging es ans packen. Da ich mir am Vortag in einem Einkaufszentrum eine vernünftige Straßenkarte gekauft hat, ging es diesmal auch mit einer halbwegs vernünftigen Route an den Start. Die Strecke sollte mich über Ricany, Jevany, Sazava, Kutna Hora, Caslav, Ronov nach Hlinsko führen. Natürlich kam es nicht dazu, aber Planung ist erst einmal wichtig für die Eigenmotivation.
Also folgte ich diversen Kreisstraßen zunächst bis nach Sazava.

Ein echt total schönem Ort, der nach dem gleichnamigen Fluss (oder umgekehrt) benannt ist. Was ich zu Beginn der Etappe allerdings nicht so richtig bedacht hatte, war die Tatsache, dass da ein bisschen Gebirge mitten drin liegt. Das verwöhnte mich zum Anfang noch mit sanften Anstiegen und schönen langen Abfahrten, wo man kaum treten musste. Ab Sazava sollte sich das jedoch ändern. Die meisten tschechischen Orte liegen auf dieser Strecke entweder in Tälern oder auf Bergkuppen. So oder so ist mindestens ein Weg mit einem fetten Anstieg versehen. Manchmal gibt es auch das eine oder andere Dörfchen, das „nur“ einfach noch höher liegt als das nächste.

Da ich im Vorfeld über den Anstieg von 50 oder 100 Metern schon großzügig gejammert hatte, wurde ich hier angesichts dieser Kindergartenberge in der Vergangenheit eines Besseren belehrt. Die Dinger hier waren mal amtlich und gingen unheimlich in die Beine. Erschwerend hinzu kam, dass meine Planung tatsächlich auf größeren Straßen basierte, und die Tschechen, wie schon erwähnt, mich schlicht und ergreifend als Hindernis betrachteten. Ich wurde mit übel geringem Abstand überholt. An Stellen, wo man sich das auf Grund des Gegenverkehrs normalerweise überlegen sollte. Aber wie sollte ich auch Verständnis erwarten, bei dieser großzügigen Anzahl der Fahrradwege quer durch das Land. Vielleicht kann ich einfach nur schlecht Karten lesen und der gemeine Autofahrer sah das als Strafe dafür an. Zugleich stieg auch mein Wasserverbrauch drastisch, so dass ich inzwischen bei über fünf Litern am Tag bin. Auf herkömmlichem Wege raus kommt allerdings fast kaum etwas. Aber ich schweife ab. So landschaftlich schön es auch war, ich hatte das Ziel Kutna Hora fest vor Augen. Schließlich sollte dort der sagenumwobene Fahrradweg von Prag nach Brünn zu finden sein. Was total spannend war: in jedem noch so kleinen Nest war eine Bushaltestelle, die auch tatsächlich bedient wurde. Wenn ich mir die Busfahrzeiten in meinem deutschen Dörfchen anschaue: was den öffentlichen Nahverkehr angeht, leben wir echt hinterm Mond.

Auf fast 500 Metern Höhe in Kutna Hora angekommen, fand ich tatsächlich den Radweg mit dem klassischen Namen „1“. Klar, wer außer mir wäre nicht auf die Idee gekommen, die beiden größten Städte Prag und Brünn mit der wohl wichtigsten Zahl überhaupt zu benennen. (1 ist die wichtigste Zahl, auch wenn das Bänker – aktueller Leitzins, Liebende 69; Nazis 88 vielleicht anders sehen sollten. 1 ist wichtiger!) Allerdings wies dieser eine derart hohe Kilometeranzahl bis nach Brno auf, dass ich mit meiner Planung über die Kreisstraßen viel günstiger kam. Zumindest rein rechnerisch. Im großen und ganzen hab ich mir dann folgende Theorie zusammengebastelt: Anfang des 15 Jahrhundert mussten die Menschen große Strecken mit Kutsche, zu Pferde oder eben zu Fuß zurücklegen. Große Anstiege waren da einfach schlecht. Denn was einem Mountainbiker sichtliche Freude bereitet, macht mit Gepäck weniger Freude. Daher wurden, als die Fahrzeuge leistungsstärker wurden, auch neue, kürzere Wege mit leider viel schlimmeren Anstiegen gebaut und als Straßen bezeichnet. Diese verbanden fortan jedes Dorf mit jeder Stadt und schlängeln sich so großzügig quer durch und über die Berge. Der Radweg 1 jedoch basiert auf den alten Straßen. Zwar ein bisschen länger, aber eben mit schwächeren Anstiegen. (Die Profis im tschechischen Radsport mögen mich korrigieren oder mir bestenfalls beipflichten.) Ich Blödmann hab mich allerdings wie bei der Schleuse in Usti für den falschen Weg entschieden. Denn wie sich im Nachhinein herausstellte, waren die Kreisstraßen auf Grund ihrer hohen Stadt/Dorfabdeckung keinesfalls „viel“ kürzer. Tatsächlich kürzer wäre es nur über die ganz großen Straßen (bei uns Bundesstraßen) gegangen. Aber das ist nun wirklich sicherheitstechnisch keine gute Wahl. Da Autobahnen meist mautpflichtig sind, konzentriert sich hier natürlich ein Großteil der Überlandfahrten.


Jedenfalls quälte ich mich in einen stetigen Rhythmus bergauf bergab, was keinesfalls zu meiner Ermunterung beitrug. Ebenfalls nicht berechnet hatte ich die Tatsache, dass auch hier gerade Ferien waren und daher wurde es mit der Dämmerung zwar Zeit, mir eine Unterkunft zu suchen, jedoch war das keinesfalls so einfach, wie gedacht. Nur mit viel Not erreichte ich in Sec noch einen Campingplatz, wo zwar niemand mehr an der Rezeption saß, ich aber im angrenzenden Restaurant um ein Plätzchen für mich und mein Zelt betteln konnte. Der Restaurantbesitzer hingegen war kein Unmensch und sagte, ich solle mein Zelt einfach irgendwo aufstellen und am nächsten Morgen zur Rezeption gehen. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: der Campingplatz und das Restaurant liegen zwar dicht beieinander, gehören deswegen aber nicht zusammen. Die junge Frau an der Rezeption war daher am nächsten Morgen sehr verwundert, wo ich herkam.

Ein nachträgliches Ausfüllen der Formulare (in Tschechien nehmen sie das sehr genau) war dennoch kein Problem und trotzdem ich so außerplanmäßig dort aufgekreuzt war, war es immer noch spottbillig. Gerade mal 133 Kronen (keine fünf Euro) hat die ganze Nummer gekostet. Man hätte mich deutlich mehr zur Kasse bitten können.
Aber das spiegelt meinen ersten Eindruck der Tschechen wieder. Sie sind ein grundehrliches Völkchen. Ein bisschen reserviert, aber hochanständig.
Was ich allerdings noch dringend erwähnen muss, ist die echt wunderschöne Gegend rund um Sec. Berge, Bäche und unglaublich viel Wald, gesprenkelt von tollen Dörfern und hübschen kleinen Städten. So ungefähr stelle ich mir den Schwarzwald vor…
Morgen kommen wir zum besten Teil meiner bisherigen Reise. Der Begegnung mit zwei anderen Reiseradlern, dem ersten Mal Wildcampen und einem Bad im Gebirgsbach…