Etappe Prag – Pruhonice

Heute möchte ich euch über ein Musterbeispiel an Orientierungslosigkeit berichten, und dass Wut absolut keine gute Navigationshilfe ist…

Bei einem wahnsinnig guten Frühstück im Hotel Adalbert hatte ich einen Plan geschmiedet. So etwas wie gestern Abend sollte mir zukünftig nicht mehr passieren. Also war der erste Weg nach dem Beladen des Rades direkt in die Stadt zur Touristeninfo. Hier wollte ich mir Kartenmaterial für radfahrende Touris beschaffen und dann mit so etwas wie „System“ weiterfahren.

Die Radwege in Prag sind… ähm viele. Da auf Anhieb den passenden herauszufinden, grenzt an ein Wunder. So viel war klar, ohne Karten geht hier fast gar nix. Aber ähnlich kompliziert wie einen vernünftigen Radweg auszumachen, war es leider auch die Touristeninfo zu finden. Wenn man den Hinweisschildern folgt, kommt man irgendwann an eine Stelle, wo das Schild plötzlich in die Richtung zeigt, aus der man gerade gekommen ist. Logische Schlussfolgerung: irgendwo auf der Strecke zwischen hier und gerade eben muss also die Info sein. Ist sie aber nicht. Wenn man dann irgendwann in eine kleine Gasse geht (zwar nicht ausgeschildert, aber die einzige Alternative zwischen hier und gerade eben) kommt man auf einen großen Platz. Und siehe da: die Info. Die beiden Mädels dort waren aber sichtbar auf ganz anderes Klientel als Reiseradler eingestellt. So sorgte ich dann auch für einigermaßen Aufruhr mit meiner Bitte nach einer Fahrradkarte für die ganze Tschechei. Nach viel Gekrame und einigen ratlosen Blicken untereinander stand fest: So etwas gibt es nicht – jedenfalls nicht hier. Aber sie hatten eine ganz wunderbare Karte von Prag, in der alle Radwege eingezeichnet waren. Das Ding schien Gold wert. Wenn ich erst einmal hier raus bin, so dachte ich in meinem Leichtsinn, sollte es machbar sein, einen passenden Weg nach Brünn zu finden. Ein furchtbarer Irrtum, wie sich herausstellte. Die netten Damen hatten mir eine Station in der Karte angemarkert, die für sie eine optimale Ausgangslage zur Weiterfahrt darstellte. Etwas außerhalb, dafür aber ganz im Süden Prags. Also startete ich voller Überzeugung, jetzt wirklich schnell von hier weg und vor allem möglichst schnell weiterzukommen.

Ach Prag, du wunderschöne Stadt… Leider sollte man sich in dir nur auf drei Möglichkeiten fortbewegen. 1. als Fußgänger, 2. mit der Tram oder 3. volltrunken in einem Polizeiwagen. Mit dem Fahrrad jedenfalls nicht! Denn so schön die alten Straßen auch sein mögen, mit einem Fahrrad sind sie eine echte Geduldsprobe. Geschwindigkeit geht entweder wegen der fetten Anstiege nicht oder eben wegen des groben Pflasters, das dir immer das Gefühl vermittelt, die Packtaschen brechen dir in jedem Moment vom Rad. *

Die Karte zeigte sich dann auch wesentlich weniger nützlich, als zuerst vermutet. Führen doch die meisten Radwege an irgendwelchen Sehenswürdigkeiten (oder besser Sehenswidrigkeiten) vorbei, auf die der Tscheche aus mir unbekannten Gründen ziemlich stolz sein muss. Der Radweg biegt plötzlich von einer guten Straße nach rechts ab, nach fünf Kilometern dann nach links an einem Einkaufszentrum vorbei und dann nach weiteren acht Kilometern wieder nach rechts auf die ursprüngliche Straße. Wer auch immer dafür Geld bezahlt hat, dass dieser Radweg an seinem Geschäft vorbei geht…

Es half mal wieder nichts, ich musste die Karte im Handy bemühen und hatte mir eine neue Route zu dem Punkt gebaut, wo die Touristeninfo-Damen den besten Ausgangspunkt für meine Prag-Brünn Tour vermutet hatten. Inzwischen schon fast vier Stunden auf dem Rad, ohne spürbares oder messbares Vorankommen, war auch das ausgezeichnete Frühstück schon wieder verbraucht und so beschloss ich, sobald ich einen Weg hier raus gefunden hatte, erst einmal was zu futtern.
Und dann folgte die nächste Katastrophe. Das Telefon sagte plötzlich: „Du hast die Route verlassen. Bitte wenden und in 50 Metern links abbiegen.“ Technikhörig wie ich bin, tat ich das auch. Nur, dass da überhaupt keine Straße war. Die nächste Möglichkeit nach links abzubiegen, war 150 Meter vor mir. Konnte ja nur das sein. Aber kaum hatte ich den Punkt passiert, von dem das Handy von mir verlangte abzubiegen, brüllte es erneut los: „Du hast die Route verlassen. In 60 Metern wenden und dann rechts abbiegen… „. Das Spiel hatte ich drei Mal mitgemacht und dann sehr energisch auf die Home-Taste zum Abschalten der Navigation gedrückt. Zu energisch. In der Lenkertasche verborgen lag irgendein Gegenstand, der sich von hinten in das Telefon gebohrt haben muss. Das Resultat: Display kaputt, das Ding unbenutzbar und wieder 120 Gramm weniger am Rad. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile.

Dieser völlig unnötige Akt machte mir bewusst, wie ich dadurch noch ein Stück weiter von allem mir Bekannten weg war. Immerhin stellte das Telefon meine bequeme Kommunikationsmöglichkeit in die Heimat dar und die war jetzt futsch. Immer wenn ich jetzt nach Hause telefonieren wollte, bedeutete das, einen sinnvollen Punkt für ein freies WLAN suchen, Rad abpacken, Laptop heraus kramen und dann hoffen, dass es auch wirklich Internet gibt. Da das Lapi aber so eingepackt war, dass es auch bei einem möglichen Sturz keinen Schaden nehmen würde, war das ein tierischer Aufwand, den man sich in Wahrheit eher sparen kann.

Was mir aber noch viel deutlicher bewusst wurde: Wenn du Hunger hast, iss! Man verbraucht unglaublich viel Energie bei dieser Fortbewegungsart und wenn der Körper sich meldet, sollte man besser nicht um einen Aufschub betteln. Somit beschloss ich, mich erst einmal mit Nahrung zu versorgen und dann weitere Pläne zu schmieden. Ein Schild am Wegesrand kam mir da gerade recht. Das große gelbe M. Hier bekommt man das, was in allen Teilen der Welt vermutlich gleich schmeckt und ohne Ende Energie liefert. Also wetzte ich diesem Schild nach und fand mich plötzlich auf der Autobahn wieder! Wie die Schilder für die Radwege war auch dies scheinbar nicht für Fahrradfahrer gedacht. Aber wo ich schon einmal da war…

Nach dem Essen ging es mir dann auch schlagartig besser und meine Motivation kehrte zurück. Also schlich ich mich heimlich von der Autobahn, verinnerlichte mir noch einmal die Karte und plötzlich klappte es. Ich konnte erst in die südlichen Randviertel Prags vordringen und war dann nach fast fünf Stunden Irrfahrt in dem Ort angekommen, von dem aus meine Reise weitergehen sollte.
Ein schönes Hotel an einem idyllischen Schloss gelegen, sollte nun meine Herberge für die nächsten zwei Nächte sein. Luftlinie vielleicht 20 Kilometer, hatte ich durch die ganzen Umwege und Verfahrereien tatsächlich mehr als 50 Kilometer auf dem Tacho. War so zwar auch nicht geplant, aber ich war erst einmal unglaublich erleichtert, ein Bett zu bekommen. Ein kurzes Abendessen beim Italiener um die Ecke offenbarte mir allerdings noch etwas sehr elementares. Der junge Mann, der meine Bestellung aufnahm, schien ein wahres Sprachtalent zu sein. Er sprach mit mir unnötigerweise Englisch, mit einem Paar am Nebentisch Deutsch und als ein weiterer Gast kam und ihn auf Französisch ansprach, klappte das auch tadellos. Dass er neben den ganzen Fremdsprachen vermutlich auch noch tschechisch konnte, zeigte mir, dass die von vielen gern in die untere Dienstleistungsecke abgeschobenen Gastronomiemitarbeiter offensichtlich viel mehr drauf haben als ich, der es neben seiner eigenen Sprache gerade mal schafft, auch noch die englische zu vergewaltigen. Ich war nie zimperlich mit Trinkgeld, aber wenn man bedenkt, wie unterbezahlt diese Leute in heimischen Kneipen und Restaurants sind, muss ich selbst darüber noch einmal nachdenken.

Morgen gibt es dann einen kleineren, aber sehr nachdenklichen Eintrag zum Ruhetag und den bisherigen Erkenntnissen meiner Reise.