Etappe Děčín – Nelahozeves

Eines vorweg, heute meckere ich mal nicht übers Wetter! Auch ihr sollt ein bisschen Abwechslung haben und deshalb jammere ich heute mal über die merkwürdige Einstellung der Tschechen zu ihren Radwegen. Dabei bin ich auch hier wieder selber schuld. Wäre ich nicht mit so unglaublich viel Gepäck losgeradelt, hätte ich wohl alles aufs Mountainbike packen können und wäre damit wohl besser gefahren. Aber schön der Reihe nach.

Der Tag startete nach einem wunderbaren Frühstück in meinem Hotel vollkommen zwanglos. Ich konnte in Ruhe das Rad packen und bei bestem Sommerwetter Děčín verlassen. Da wirklich nur kleine Schäfchenwolken über den Himmel zogen, hatte ich auch einen wunderbaren Blick auf die bestimmt einst sehr schöne Stadt. Direkt an der Labe gelegen, ist sie mit tollen alten Gebäuden gespickt und die sie umgebenden Berge machen die Kulisse fast perfekt. Wenn da nicht das übliche Problem der Tschechen wäre, dass sie Baulücken (bei denen sich frühere Architekten bestimmt etwas gedacht hatten) mit blöden Planeffizienzklötzen füllen. Also stehen in einem Straßenzug mit 300 Jahre alten Holzhäusern auch gern mal Plattenbauten aus den 80igern. Zudem werden Häfen nicht wie bei uns etwas außerhalb angelegt, sondern meist innerstädtisch. Was nicht nur die Promenaden versaut, sondern zusätzlich auch noch für einen massiven Lärmpegel in den Innenstädten sorgt. Es mag durchaus sein, dass ich da einen etwas einseitigen Blick auf die Sache habe, schließlich kenne ich nicht annähernd alle flussnahen tschechischen Städte, aber von denen, die ich bisher besucht habe, fiel eigentlich nur Prag aus dem Muster. Aber irgendwie ist das schon ein komisches Bild, wenn ein wunderschönes und saniertes altes Gutshaus von hässlichen Kränen verdeckt wird.

Schön wäre es ohne moderne Mamutmaschine

Nun bin ich aber weder Städteplaner noch Architekt und sollte mich wohl aus diesen Dingen heraushalten. Tourismus ist für die Tschechen ähnlich wie bei uns auch erst in den vergangenen zwanzig Jahren ein Begriff geworden. In dieser kurzen Zeit war es sicher auch für die wirklich hart arbeitenden Tschechen unmöglich, sämtliche Bausünden des Warschauer Pakts zu beheben. Das ist übrigens etwas, was mir ganz besonders ins Auge gestochen ist: die Tschechen ackern wie die Tiere! Jede noch so kleine Baustelle wird selbst an Sonntagen bearbeitet. Die meisten Geschäfte haben täglich von 6 – 22 Uhr geöffnet. Dabei geht es überall völlig unaufgeregt und meiner Meinung nach mit absolutem Sachverstand zu Gange. Klar, Prag ist quirlig, aber daran sind wohl eher die Touris schuld. Die Tschechen machen keinen Stress, außer wenn man mit einem vollbepackten Rad eine enge ansteigende Dorfdurchfahrt meistert. Dann spielen sie gern mal mit dem Gas und bekunden so ihre Langweile. An dieser Stelle ein gut gemeinter Hinweis an andere Radreisende: In Tschechien herrscht auf den Straßen Krieg. Ob die sonst so ruhigen Tschechen genau hier ihren Frust ablassen, weiß ich nicht, aber nehmt einen Helm mit und benutzt ihn bitte auch! Bei mir ging es glücklicherweise unfallfrei weiter nach Ústí nad Labem, einer wohl eher klassischen Industriestadt.

War bis hierher alles noch im Lot, sollte der Radweg jetzt zu einer ernstgemeinten Prüfung werden. Den Hinweis im Elberadweghandbuch (Achtung Treppen!) hielt ich in meiner Naivität für ein bisschen schlecht recherchiert und folgte somit der offiziellen Radroute 2 tapfer. Was für ein Hirni sollte an einem vielbefahrenen Reiseradweg denn bitteschön Treppen anbringen, ohne für eine sinnvolle Umfahrung zu sorgen? Bestimmt altes Material und die Tschechen haben sich da schon längst was einfallen lassen. Kurz und knapp: Nein, haben sie nicht! Es gibt zwar eine Umfahrung, die ist aber mit Sicherheit lebensgefährlicher als der Kreislaufkollaps, der einem beim Treppensteigen heimsuchen kann.

An diesem herrlichen Tag fuhren viele Tschechen mit dem Rad. Aber für die meisten sind es kurze Wochenendausflüge nach Dresden oder Prag. Dementsprechend haben sie auch längst nicht so viel Gepäck dabei wie ich auf meiner Tour. Eine Treppe mit einem leichtbepackten Rad hochzuschieben ist natürlich eine ganz andere Nummer, als mit 30 Kilo Gepäck auf dem Drahtesel. Somit kam ich ziemlich ins schnaufen und ja, teilweise auch ins fluchen. Zumal über den „Betriebsbereich“ der Schleuse eine stufenlose Straße gebaut ist. Aber jede gemeisterte Herausforderung ist eine weitere Erfahrung und somit beschloss ich die Warnhinweise im Handbuch für Elbterroristen zukünftig genauer zu befolgen – dummerweise erst nach dem übernächsten… Denn was mich jetzt erwartete, hatte ich mir in meinen kühnsten Albträumen nicht vorstellen können. Als ob die Treppennummer nicht schon schlimm genug gewesen wäre, wünschte ich mir jetzt erneut mein Mountainbike. Aus dem Radweg wurde ein Singletrail mit allen herrlichen Schikanen.

Coole Bergabfahrten, kleine Kletterstrecken, Schlamm und Matsch, Schotterstrecken. So richtig etwas zum einsauen und Spaß haben – mit einem Mountainbike. Aber des einen Freud ist eben des anderen Leid. Für Ente, mein Reiserad und mich war es ein Horrortrip, der auch bis in die nächste größere Stadt Roudnice nad Labem keine Besserung versprach.

Zu guter Letzt verabschiedete sich dann auch noch mein Seitenständer, allerdings nicht wie von mir befürchtet auf Grund des hohen Gewichts beim Stehen, sondern wegen der miesen Wege still und heimlich in irgendeinem Schlagloch unterwegs. Als ich ihn auf einer kurzen Rauchpause ausklappen wollte, war da nur noch ein Stummel vorhanden.

Ab da an lief es aber wie ein Länderspiel (und zwar das 7:1 gegen Brasilien). Die Route wurde flacher, besser ausgebaut und viel schneller. Und so schaffte ich es in relativ kurzer Zeit in die Stadt, die mich von meiner sechstägigen Beziehung zur Elbe entbinden sollte – Mělník.

Da ich an diesem Tag wirklich gut unterwegs war, hielt ich mich auch gar nicht großartig mit Sightseeing auf und bog etwa einen Kilometer vor der Stadt auf den Nationalradweg 7 in Richtung Prag ab. Ein paar Bilder aus der Distanz hab ich geschossen und bin mir sicher, wenn ich irgendwann mal reich bin, werde ich diese Stadt auch näher erkunden. Vielleicht an einem Samstag, nachdem ich tags zuvor einen Nachtwächterrundgang durch Pirna miterlebt habe.

Ab jetzt wurde die Sache auch ein bisschen spaßiger. Das erste Mal seit Beginn der Tour galt es richtig Höhenmeter auf teils wieder desolaten Radwegen zu schruppen. Inzwischen hatte mir die Sonne auch schon heftig die Schultern verbrannt und mein Wasser ging wieder einmal zur Neige. Es war bereits 19:00 Uhr und ich hatte bis dahin fast 120 Kilometer zurückgelegt. Ich machte mich also auf die Suche nach einer Wasserbevorratungsstelle und einer Schlafmöglichkeit. Beides fand ich in Nelahozeves. Ersteres war eine Tanke und zweites war ein Hüttencamp direkt an der rechten Moldauseite. Und hier muss ich kurz ein Wort zu verlieren: Cool!

Sehr spartanisch eingerichtet, aber wenigstens gab es eine Dusche und Strom. Wäre auch noch WLAN vorhanden gewesen, wäre das meine erste Wahl für einen Ruhetag geworden. Ein herrlich lauschiges Plätzchen mit super nettem Personal und das erste tschechische Bier auf der Reise. Allerdings hat mich das auch gleich ziemlich aus den Socken gehauen, was wohl letztendlich an Leistungsmerkmalen der Etappe gelegen hat.

Morgen erzähle ich euch dann vom letzten Etappenabschnitt nach Prag, den dortigen Wirrungen und einer „Wäre ich bloß nicht umgedreht“ – Geschichte, sowie von einem mal wieder ganz vorzüglichen Gewitter und einer netten Begegnung mit einem ziemlich neugierigen Tschechen unter einer Brücke.