Wildenbruch – Dresden Teil 2

Wildenbruch – Dresden Teil 2

….Aber ich muss zugeben, dass die Nacht durchaus ihre Spuren hinterlassen hatte. Ich startete sehr schleppend in die neue Etappe und kam erst nach 15 Kilometern so richtig in Fahrt oder besser in Tritt. Das Wetter sah zwar immer noch nicht gut aus, aber zumindest regnete es vorerst nicht und der Wind hielt sich auch in Grenzen.
Die Ödheit des Elberadweges brachte meine Stimmung auch nicht gerade zum überkochen und somit zog sich das alles wie Kaugummi. Aber, wo Schatten ist, das ist auch Licht.

Kurz nach 13 Uhr erreichte ich das Städtchen Torgau. Oder wie Torgau sich auspreist: Die Reformationsstadt Torgau! Luther wahr hier nachweißlich mehr als 14 Mal zu Gast. Kunststück. Liegt ja an der alten Postkutschenroute Leipzig – Wittenberg. Ich hoffe bloß, sie erinnern sich noch an Luther, wenn ich auch mal reich und berühmt werde. Denn immerhin war ich auch schon einmal nachweislich zu Besuch. Der EC-Kartenbeleg von Aldi beweist es! Da sind wir wieder bei der Beeinflussung des Umfeldes durch das Wetter. Torgau bescherte mir nämlich zum Dank für meinen Besuch ein ganz herrliches Gewitter, das ich bei jenem Aldi in der Einkaufswagenabstelleinrichtung ausstand. Aber zum Glück nicht allein. Die spärlichen 4 m² teilte ich mit zwei tschechischen Reiseradlern, die auf dem Weg von Cuxhaven nach Prag waren. Da sie nur einzelne Bruchstücke Deutsch kannten (bitte schön, danke schön, Scheiße – aufs Wetter bezogen) und ich überhaupt keine Tschechischkenntnisse aufweisen kann, wurde mir schon Angst und Bange ob der stummen Wartezeit. Die Tschechen ließen sich aber nicht aufhalten. Wie zur Rache für den Zweiten Weltkrieg bombardierten sie mich in ihrer Landessprache. Mit Händen, Füßen und Blicken haben wir die Kommunikationsbarriere nach 10 Minuten dann doch durchbrochen und so wurden es tatsächlich unterhaltsame Stunden unterm Aldivordach. Spätestens als ich ihnen erklärte, ich wolle mit dem Rad nach Athen, war das Eis gebrochen.

Nun ist mein Tschechischvokabular wirklich ganz mies und ich konnte nicht genau deuten, ob sie mich aus- oder anlachten. Ich gehe mal, Optimist, der ich bin, von anlachen aus. Einer von ihnen begutachte meinen Sattel, zeigte fragend darauf und schüttelte den Kopf. Als er dann mit zwei Fingern erst in eine imaginäre Cremedose und dann an seinen Hintern herumstrich, wurde mir klar, dass er entweder meinen Sattel oder meinen Hintern oder die Kombination aus beidem für ziemlich schwachsinnig hielt. Auch wenn ich in der Vorbereitung noch an einen anderen Sattel gedacht hatte, jetzt bleibt er erst recht! Ich blieb trotzig und beharrte darauf, mit genau jenem Sattel die Akropolis zu besuchen. Aber er erkannte das Wanken. Also ließ er es sich nicht nehmen, mir mit Hilfe seines Messers erst zu erklären, dass ich mich in der Slowakei dringend vor marodierenden Banden in Acht nehmen sollte, bevor er mir mit dem Gleichem ein Stück Apfelkuchen aus der Aluverpackung wuchtete und darauf bestand, dass ich das auch zu essen hatte. (Offensichtlich werde ich die Kraft brauchen.) Wir haben dann noch über die unterschiedlichsten Dinge „gesprochen“, z.B. fanden sie es toll, immer noch die Krone zu haben und das Prag für sie eine furchtbare Stadt sei. Aber so ist das eben, wenn man irgendwo aufgewachsen ist. Ich persönliche sehe Potsdam ja auch mit anderen Augen als der durchschnittliche Sanssouci Besucher.

Da die beiden aber ein anderes Etappenziel als ich hatten, war unser lustiges Zusammentreffen nach 2 Stunden ohne den Austausch von Namen auch schon wieder vorüber. Aber ich hab Bock auf mehr davon! Es war unheimlich spannend und trotz unserer Sprachschwierigkeiten sehr informativ. Man kann mit Gesten doch viel mehr ausdrücken, als man glaubt. Die eigene Sprache (auch wenn man sie so sehr mag wie ich) wird irgendwann zur Nebensächlichkeit. Es war ein lichter Moment an einem Tag voller tiefhängender Wolken, die an diesem Tag noch einige Schauer für mich bereit halten sollten.

Trotz immer noch drohendem Gewitter beschloss ich wenigstens noch ein paar Kilometer weiterzufahren, um den nächsten Campingplatz anzusteuern. Dabei fiel mir erneut auf, dass ich die Route wahrscheinlich nicht schlechter hätte wählen können. Der Radweg führt zwar theoretisch an der Elbe entlang, aber praktisch sieht man nichts von ihr. Im Normalfall fährt man hinter hohen Deichen quer durch landschaftlich eher eintöniges Gebiet. Äcker, kleinere Wälder und gelegentlich gibt es mal das eine oder andere Dorf zu sehen, was zum Erbauungszeitpunkt auch kaum prunkvoller ausgesehen haben kann als heute. Allerorts sind Pensionen ausgeschildert, aber Möglichkeiten um Vorräte, sei es auch nur Wasser, aufzufrischen, sind nur sehr dünn vorhanden. Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber ich fürchte, dies ist einer der ärmsten Landstriche Deutschlands und so versucht sich der eine oder andere Hausbesitzer noch ein bisschen was mit der Unterbringung von Gästen dazuzuverdienen. Nicht, dass ich diesen Gelderwerb verurteilen möchte, zum Glück gibt es sie, die Pensionen am Weg. Aber meiner Meinung nach müsste hier viel mehr in die Infrastruktur investiert werden, um das Land nicht völlig zu entsiedeln. Die Elbregion hat es durch die dauernden Hochwasser der letzten Jahre eh schon sehr schwer. Aber was nutzen großartige Deichbauprojekte, wenn dahinter niemand mehr leben kann. Selbst die Supermarktketten konzentrieren sich auf die Städte und vernachlässigen die ländlichen Regionen stark.

Deswegen nichts wie weiter und gucken, was die Strecke noch bringt. Nach einem weiteren starken Schauer, den ich unter einer Linde verbrachte, landete ich schlussendlich in dem kleinen Ort Staritz. Durchgefroren und nass bis auf die Knochen, habe ich den Gedanken zu zelten sofort verworfen. Ich sehnte mich nur noch nach einer warme Dusche und ,wenn möglich, irgendetwas bettähnlichem. Ich habe mir zwar vorgenommen, die ganze Sache wirklich für kleines Geld zu unternehmen, aber die am Ortseingang ausgeschilderte Pension „Lindenhof“ klang zu verlockend.

Nur einen Tag nach meinem Aufbruch verstieß ich somit schon gegen mein Konsumzölibat. Aber ich muss sagen, es hat sich gelohnt. Bei einem wirklich opulentem Abendessen habe ich zwei Radler aus Bielefeld und Paderborn getroffen, die den Elberadweg flussaufwärts fahren. Sie sind am Sonntag in Bad Schandau gestartet und waren somit wesentlich schneller als ich unterwegs. Allerdings fuhren sie auch nicht mit annähernd so viel Gepäck, da sie weder zelten wollten und es für sie ab Magdeburg mit dem Zug nach Hause ging. Inzwischen muss ich zugeben, dass diese Art von Urlaub durchaus etwas Reizvolles hat. Die kleinen Pensionen am Elberadweg sind wesentlich günstiger als ein Hotel und zumindest der Lindenhof stand einem guten Hotel in nichts nach. Aber auch hier beeinflusst das Wetter natürlich wieder die Wahrnehmung. Wer so wie ich die Aussicht auf ein warmes Bett vor Augen hat, kann eigentlich nur schwärmen. Jedenfalls war ich mir bei diesen beiden sicher, dass sie mich nach meiner Absichtsbekundung nach Athen zu fahren, auslachten. Ist ihr gutes Recht, wer weiß, wie ich vor ein paar Wochen auf einen Typen wie mich reagiert hätte. Sie gaben mir noch einige nützliche Tipps zu Aussichtspunkten und ermunterten mich, was meine Einstellung zum Elberadweg anging, mit einem Verweis „ab Meißen wird es besser“ auf. Sie sollten Recht behalten.

Als in Staritz der Fußballjubel nach dem 7:1 Sieg gegen Brasilien ausklang, nahm auch ich meine Mission Nachterholung in Angriff.